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06.11.2020

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Buchtipp: Denkmal als Zukunftsversprechen

TXL Berlin Tegel Airport


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Übermorgen ist endgültig Schluss. Ende. Aus. Jetzt aber wirklich! Eine Maschine der Air France wird am Sonntagnachmittag der letzte reguläre Flug sein, der vom Flughafen Berlin-Tegel TXL Richtung Paris abhebt. Wer jetzt nostalgisch wird – und wer würde das nicht? –  sollte sofort am Montagmorgen in die Fachbuchhandlung seines Vertrauens gehen und TXL. Berlin Tegel Airport kaufen. Kein Witz: Das Buch kommt wenige Stunden nachdem Tegel Geschichte ist, in den Handel. Ein so perfektes Timing würde man sich öfter wünschen.

Zur Schließung haben sich gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner (Hamburg) ein opulentes Buch gegönnt, herausgegeben von Publizist Jürgen Tietz in Zusammenarbeit mit Detlef Jessen-Klingenberg von gmp. Das Buch umfasst das, was man von einem solchen Projekt erwartet: eine großartige Auswahl an bisher unveröffentlichten Bildern und Plänen aus dem Archiv, einen instruktiven Essay und ein langes, anekdotenreiches Interview mit den Architekten. Den Auftakt bildet eine 70 Seiten lange Bildstrecke, die unter dem Motto „Drive to Your Gate“ das minutiös durchgearbeitete Gesamtkunstwerk von der Anfahrt mit dem Auto bis zum Einsteigen in den Flieger nochmals so erlebbar macht, wie es sich bei der Eröffnung 1974 den Reisenden zeigte. Korrespondierend dazu findet man hinten im Buch 80 Seiten mit Plänen und Fotos aus dem Bauprozess.

In seinem Essay erzählt Tietz alles Notwendige zur Baugeschichte. Er erinnert an die eminent wichtige Vorbildfunktion des Flughafens Köln-Bonn, an dem Paul Schneider-Esleben seit 1962 arbeitete und auf den sich viele Beiträge des Wettbewerbs für Tegel bezogen. Und er stellt Meinhard von Gerkans Diplomarbeit eines Flughafens für Hannover-Langenhagen vor, die dieser 1964 in Braunschweig bei Friedrich Wilhelm Kraemer gemacht hatte. Auf der Basis dieser intensiven Auseinandersetzung mit aktuellen Flughafentypologien gelang den frisch diplomierten Hamburgern ein beeindruckender Überraschungssieg gegen die 67 Konkurrenten des offenen Wettbewerbs. Allen Studierenden sei dies ein Fingerzeig: Ein gutes und anschlussfähiges Abschlussthema ist einfach Gold wert!

1974 eröffnete der Flughafen, der mit seiner Kombination aus Drive-in-Airport und dezentralem Check-in am Abflugschalter zu einer internationalen Ikone des Flughafens der kurzen Wege wurde. Keine 50 Jahre später ist das Versprechen des hochgradig effizienten Reisens längst Geschichte, der Fokus auf die sensationell kurze Distanz von nur 32 Metern vom Taxi zum Flugzeug ein anachronistischer Fetisch. Der Flughafen Tegel ist längst ein wunderbares Stück Verkehrs- und Architekturgeschichte, am 1. April (sic) letzten Jahres wurde er glücklicherweise unter Denkmalschutz gestellt. Das ist eine eminent wichtige Entscheidung, denn immerhin steht nun die Umnutzung des Baudenkmals an.

Berlin möchte den Flughafen zur „Urban Tech Republic“ umbauen. Die landeseigene Tegel Projekt GmbH will hier einen Hochschul- und Innovationskomplex und neue öffentliche Räume schaffen. Teile des Flugfeldes werden unter dem Titel „Schumacher-Quartier“ zu einem Wohnviertel entwickelt. Auch gmp ist involviert: Das Büro ist mit der Nachnutzungsplanung für das Haupt- und Eingangsgebäude, die zentrale Halle und den Tower beauftragt. Dass der Berliner Landeskonservator Christoph Rauhut ganz am Ende des Buches ein kurzes Statement abgibt, darf als positives Vorzeichen für den angemessenen Umgang mit diesem speziellen Baudenkmal gesehen werden. Historisch war der Flughafen ein echter Aufbruch in die Zukunft, vielleicht ist er es bald wieder. Ein Denkmal als Zukunftsversprechen!

Text: Gregor Harbusch

TXL. Berlin Tegel Airport
Herausgegeben von Jürgen Tietz in Zusammenarbeit mit Detlef Jessen-Klingenberg

248 Seiten
Deutsch und Englisch
Park Books, Zürich 2020
ISBN 978-3-03860-202-6
38 Euro


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

8

R. Zimmermann wundert sich über | 11.11.2020 00:25 Uhr

die Schönheit des Sechsecks

Welch einmalige Produktionsbedingungen! Orte wie dieser ließen in mir den Wunsch heran reifen Architekt (/Designer/Schriftgestalter/Pilot/Playboy) zu werden. Der Traum vom Fliegen! Vielleicht am besten verkörpert in der Mathematik eines fraktalen Systems. Und ja! bis hinein in die letzte Stuhlreihe. Noch ein Martini zurückgelehnt mit Blick aufs Flugfeld und dann auf in ferne Welten. Was kann mehr den Entstehungsgrund von Architektur verkörpern als dies?

7

Jan | 10.11.2020 15:59 Uhr

@ #3 und #6

Aber es ist doch gerade die Tatsache, dass alles "uni" und aus einem Guss ist, die diesen Bau so wunderbar macht.
Es ist ein echtes Statement. So konsequent sollte jeder öffentliche Bau gestaltet sein.

BTW ist das Buch hervorragend!
Danke Baunetz.

6

auch ein | 09.11.2020 09:20 Uhr

architekt

eigentlich wirklich das GRAUEN das bis zum pissoir alles aus eine hand und in einer formansprache war....
andererseits konsequent und es ist ja GESCHMACKSSACHE ob mans mag.

was passiert jetzt damit ?

5

schlawuki | 07.11.2020 09:39 Uhr

rimowa

danke 2 und 3 für ihre kommentare.
da haben sie wirklich alles gesagt.

der TXL anhänger an meinem ramponierten rimowa reisekoffer wird dranbleiben, bis er von selbst abfällt.

4

STPH | 07.11.2020 07:24 Uhr

...

der sich öffnende unrechte Winkel passt gut zum Abflug, ganz über die Zeiterscheinung hinaus. Auch das Sechseckgitter über Kopf. Geht auch heute noch bei entsprechender Begeisterung.

3

Nightfly | 07.11.2020 05:54 Uhr

Als frischer Diplomant einen Wettbewerb gewinnen

Schön dass es Zeiten wie diese mal gab, in denen junge Architekten sich an Wettbewerben für große Bauvorhaben beteiligen konnten. Man sieht dem Entwurf eine Offenheit gegenüber Neuem an und den jugendlichen Mut etwas zu wagen. Die Konsequenz das Sechseck vom städtebaulichen Konzept, über das Mobiliar, bis zur Bodenfliese durchzuhalten ist sehr "uni" (bezogen auf die Art zu entwerfen während der Uni) , wie alte Hasen gerne sagen.
Dieser frische Wind in der Architektur ist in Deutschland völlig verloren gegangen. Je größer das Projekt desto eher bauen die Alteingesessenen ihre 0815-Standardklopfer. Und das in dem Land mit den meisten Architekten und mit der besten Ausbildung.

2

Hinrich Schoppe | 06.11.2020 17:40 Uhr

Zukunft im Museum

Was kann man an diesem Gebäudekomplex alles ablesen? Welche schon vergangen wähnende Welt hat sich dort hinüber gerettet, in zudem erstaunlich gutem Zustand?
Neben aller gestalterischer, durchaus auch modischer Qualität steht der TXL für ein Ära, die Berlin prägte und prägt wie kaum eine andere der sogenannten Neuzeit. Und zudem durchaus positiv, was man von den anderen Berliner Großereignissen nicht immer unbedingt behaupten kann.
Zudem der Meistererstling der beiden in Ehren ergrauten Herren, dem viel folgte, Gutes, Hervorragendes und auch weniger Gutes.
Danke dafür, dass so etwas möglich war, das erhält den Glauben daran, was geht, wenn die Sterne günstig stehen und die Gutachter fern sind.
Und danke, dass dieses Vermächtnis in Berlin in Ehren gehalten wird. So wenigstens die Hoffnung. Das war und ist in Berlin auch nicht immer unbedingt so.

1

maestrow | 06.11.2020 17:29 Uhr

Eine Zukunft der Vergangenheit

endlich schließt der peinlichste aller deutschen Provinzflughäfen noch vor Memmingen der seine besten Zeiten seit gefühlten 40 Jahren hinter sich hat. Reinickendorf ruhet nun endlich nachts in Frieden. Die Würdigung in Papier als Erinnerung an die gute alte Zeit, muss wohl sein in unseren nostalgieschwangeren Zeiten. Nur dass der Neue BER dann auch schon wieder ein wenig konzeptionell dem alten nachkommt und dass zudem alle Berliner Verkehrs- Großinfrastrukturbauten aus einem Büro kommen ist bis heute unverzeihlich. Aber schlimmer als in Tegel wird es nicht, das ist doch die eigentliche sehr gute Nachricht!

 
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