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03.11.2021
Kinetischer Symbolraum für Babyn Jar
Synagoge in Kiew von Manuel Herz Architekten
Lange erinnerte in dem waldartigen Gelände der Schlucht Babyn Jar im Nordosten Kiews nur wenig daran, dass sich dort vor 80 Jahren ein von der deutschen Wehrmacht verantwortetes Massaker abspielte. Mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder wurden dort innerhalb von zwei Tagen erschossen. Auch Zehntausende sowjetische Kriegsgefangene, Kommunist*innen, Roma und Patient*innen einer nahe gelegenen psychiatrischen Klinik wurden zwischen 1941 und 1943 hier ermordet.
Die Babyn Yar Holocaust Memorial Foundation plant nun auf dem heute als Park genutzten Areal die Realisierung einer Reihe kleinerer und größerer Bauten, um an die Geschichte des Ortes zu erinnern. 2019 wurde ein Wettbewerb für eine Gedenkstätte entschieden, im Frühjahr 2021 eine Synagoge fertiggestellt.
Entworfen wurde die Synagoge in Babyn Jar vom Basler Büro Manuel Herz Architekten, das auch den 2010 eingeweihten Synagogenbau in Mainz verantwortete. Während Herz dort auf einen scharfkantig-monumentalen, in dunklen Tönen gehaltenen Baukörper setzte, zog er in Babyn Jar einen performativen, geradezu spielerisch-leichten Ansatz vor: „Ich wollte ein Projekt schaffen, das eine transformative Dimension hat und ein neues Ritual an diesem Ort etabliert“, schreibt er. Ideengeber für die außergewöhnliche Form des Neubaus war die religiöse Praxis des Judentums, in der das gemeinsame Lesen des Gebetsbuches eine zentrale Rolle spielt. Eine weitere Inspirationsquelle waren sogenannte Pop-up-Bücher, die sich beim Aufklappen zu einer dreidimensionalen kleinen Welt entfalten.
Ähnlich wie bei ihrem ungewöhnlichen Wohnhaus in Zürich-Seefeld planten die Architekt*innen die Synagoge als kinetische Architektur. Das aus einer holzverkleideten Stahlkonstruktion gefertigte Volumen mit circa acht Metern Breite und elf Metern Höhe lässt sich öffnen und schließen wie ein Buch. Möglich wird das durch eine bewegliche Wand, die mittels einer Kurbel und einer halbkreisförmigen Schiene von Hand ausgefahren werden kann. Wie von Zauberhand schieben sich dabei eine Leseplattform, Bänke und ein Balkon in den entstehenden Raum. Wände und Decke dieses bühnenartigen Kabinetts sind mit farbenfrohen Malereien und Segenssprüchen geschmückt – eine Referenz an die prachtvollen Innenräume der vielen historischen, längst zerstörten Synagogen der Westukraine.
Der inmitten von Bäumen stehende Bau ruht auf einer Holzplattform, deren größter Teil leicht über dem Boden zu schweben scheint. Flankiert wird die Synagoge von einem kleinen Seminargebäude aus Beton. Gebaut wurde mit Holz von über hundertjährigen Eichen aus der ganzen Ukraine. Zum einen stelle dies eine symbolische Verbindung zwischen der Zeit vor dem Massaker und der Gegenwart her, erklärt Herz. Zum anderen verleihe dies der Synagoge eine gewisse Fragilität, die eine besondere Zuwendung und Pflege erfordere – ganz so wie das Erinnern an diesem besonderen Ort. (da)
Fotos: Iwan Baan
Video:
Synagoge für Babyn Jar von Manuel Herz Architects, Video von Iwan Baan from redaktion on Vimeo.
Zum Thema:
Der Bau steht auch im Mittelpunkt einer Publikation von Robert Jan van Pelt, Mark Podwal und Manuel Herz, die im Dezember im Zürcher Verlag Park Books unter dem Titel How Beautiful Are Your Dwelling Places, Jacob: An Atlas of Jewish Space and a Synagogue for Babyn Yar erscheinen wird.
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Kommentare:
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Die von Manuel Herz konzipierte Synagoge in Babyn Yar lässt sich auf- und zuklappen wie ein Buch.
Im geschlossenen Zustand ist der Holzbau nur wenige Meter breit.
Bei voller Öffnung entfaltet sich ein sakraler Raum mit Lesepult und Balkon.
Der außergewöhnliche Bau bietet einen Ort für Rituale und kollektives Gedenken.
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