„Stein ist noch immer synonym mit Architektur“, sagt Architekturtheoretiker Luca Ortelli von der EPF in Lausanne. Eine gewagte These? In gewisser Weise stimmt sie. Nicht ohne Grund sprechen wir zu Beginn jedes Baus von der Grundsteinlegung, egal ob dieser nun aus Holz, Stahl, Ziegeln oder gar Natursteinen besteht. Die Beziehung von Stein und Haus ist Jahrhunderte alt. Bis heute ist sie nicht nur emotionaler Natur, sondern auch technisch in das Bauwesen eingeschrieben. Nach wie vor basieren etwa übliche Wandstärken auf den Maßen des Ziegelmauerwerks. Dieser speziellen Beziehung zwischen dem Stein als einzelnem Bauelement und dem Haus als Ganzen geht die Publikation Studies on Assemblies: Mass Made Units nach.
Das Buch untersucht das Bauen mit allen Arten von Mauerwerken – von Ziegeln über Naturstein bis hin zu Lehmsteinen. Dabei geht es den Autor*innen sowohl um das Fügen der Elemente als auch deren Implikationen für die architektonische Gestaltung. Die Publikation ist aus laufenden Forschungen am Laboratory EAST der EPF in Lausanne hervorgegangen – das von Martin und Anja Fröhlich ( AFF Architekten) geleitet wird – und besteht aus zwei Teilen.
Die Lektüre beider Abschnitte lohnt sich auf ihre je eigene Weise. Im ersten (theoretischen) Teil geht es um verschiedene steinerne Bauelemente, ihre Konstruktionsweisen und historischen Entwicklungen. Der zweite, eher praktisch orientierte Teil versammelt knappe Case Studies verschiedener Bauten aus Stein, die von Studierenden der EPFL analysiert wurden. Das Ganze wird in bekömmlichen kleinen Happen geboten. Ein Minuspunkt der knapp 100 Seiten umfassenden Publikation muss allerdings vorweg genannt werden: Es gibt nur wenige und recht kleine Bilder.
Doch zurück zum Inhalt: Zu Beginn des theoretischen Teils behaupten beispielsweise Marléne Leroux und Francis Jacquier von Atelier Archiplein, dass es eine Renaissance des Bauens in Naturstein gebe. Nicht zuletzt zeigt sich das etwa an den eigenen Projekten des Genfer Büros. Lange Zeit waren Konstruktionen aus Naturstein nicht unbedingt en vogue. Einer der letzten, wichtigen Vertreter war Fernand Pouillon, der in den 1960er Jahren großmaßstäbliche Wohnbauten aus Naturstein in Frankreich und Algerien errichtete.
Natürlich geht es auch um die ökologische Performance des Bauens mit Stein. Hier zeichnet sich ein ambivalentes Bild. Grundsätzlich sind Materialien wie Lehm, Ton und Erde vielerorts lokal verfügbar. Ebenfalls auf der Habenseite stehen die Beständigkeit der Steine und ihre potenzielle Recycling-Fähigkeit. Anderseits entstehen beim notwendigen Brennprozess von Ziegelsteinen verhältnismäßig große Mengen CO2. Vor diesem Hintergrund zeigt die Publikation verschiedene Ansätze, die auf ökologischen Herstellungsmethoden basieren – etwa Zement aus kalziniertem Ton (LC3) oder Steine, die mit Erdaushub von Baustellen gepresst werden. Lieven Nijs von BLAF architecten beschreibt zudem, wie das belgische Büro ein neues Ziegelsteinformat mitentwickelte, um Häuser zu realisieren, die aus zwei unabhängig selbsttragenden Hüllen bestehen.
Der zweite Teil des Buches bietet sich für alle jene an, die einen schnellen Eindruck verschiedener Bauweisen mit Mauerwerk bekommen möchten. Hier werden 14 Projekte auf jeweils einer Doppelseite vorgestellt. Neben einem knappen Text gibt es einen Grundriss und eine axonometrische Darstellung des Wandaufbaus. Allein diese schlichten Zeichnungen zu studieren, macht Lust auf Steine als Bauelemente. Die Auswahl reicht von Elisa und Alvar Aaltos Muuratsalo Experimental House über das Haus Can Lis von Jørn Utzon auf Mallorca bis hin zur Spore Initiative in Berlin von AFF. Wer diese Häuser nicht ohnehin schon kennt, muss eigentlich sofort ins Netz, um nach Bildern der Gebäude in Ziegel, Sandstein, Lehm oder auch gesteckten Betonbausteinen zu suchen.
Text: Maximilian Hinz
Studies on Assemblies: Mass Made Units
Laboratory EAST, EPF Lausanne (Hg.)
Englisch
96 Seiten
Triest Verlag, Zürich 2024
ISBN 9783038630845
29 Euro