Als 1956 die Technische Universität Eindhoven als Gegenpol zur altehrwürdigen TU Delft in den Niederlanden gegründet wurde, sollte sie ganz im rationalistischen Geist der Nachkriegszeit erscheinen. Nach Plänen von S. J. van Emden wurde der gesamte Campus auf einem Raster angelegt, um den Aufbruchsgeist und Technikglauben dieser Ära auch räumlich zu formulieren. Die Anlage sollte in ihrem Funktionsprinzip einer gigantischen Maschine gleichen. An den Knotenpunkten der Rasterstruktur legte van Emden einzelne, hohe Gebäudezellen an. Jede dieser Forschungs- und Lehrzellen sollte wie eine Produktionsinsel für sich stehen, aber zugleich über schwebende Fußgängerbrücken mit dem Gesamtorganismus des Campus verbunden sein. Ganz so visionär wie gedacht sah die Anlage nach ihrer Realisierung nicht aus. Dennoch wurde die Gitterstruktur van Emdens kürzlich im Rahmen einer Erweiterung des Campus der TU Eindhoven um Bürogebäude und ein Studentenwohnheim städtebaulich fortgesetzt.
Vom Makrokosmos zum Mikrokosmos – das Raster van Emdens übertrugen Office Winhov (Amsterdam) auf das neue Studentenwohnheim, das sie im Norden des Universitätsgeländes entworfen haben. Über die dreizehn Stockwerke des Wohnriegels hinweg zieht sich ein klar profiliertes Betongitter, das im Wechsel schmale und breite Kassetten formuliert. Der auf die Außenflächen des Gebäudes projizierte Rationalismus ist jedoch nur vordergründig – eine statische Funktion hat das Gitter nicht. Vielmehr sind die massiven Streben, deren geschliffene Stirnflächen wie Terrazzo ganze Steinschnitte freilegen – schlicht dekorativ. Als „autonome Position“ auf der Fassade bezeichnen die Architekten diese ästhetische Gitterkonstruktion.
Trotz wortwörtlichem Oberflächenrationalismus verfolgten Office Winhov, die den Bau gemeinsam mit office haratori (Zürich) und BDG Architecten (Almere) für die TU Eindhoven entwickelten, durchaus ein sachlich-pragmatisches Prinzip. Das Studentenwohnheim mit 300 Apartments ist nämlich vollständig aus vorfabrizierten Einheiten konstruiert. Die Fassade etwa besteht aus einheitlich großen Sandwich-Modulen, die im Regelfall eine große und eine kleine Kassette umfassen. Nach diesem Plattenbauverfahren legten die drei Büros einen schmalen, keilförmigen Bau an. Formal setzt sich die schlanke Baufigur aus drei hintereinander gesetzten Volumen zusammen. Diese Anordnung ermöglicht innen eine effiziente Aneinanderreihung der Wohneinheiten, die von den Treppen- und Fahrstuhlschächten lediglich flankiert, nicht aber durchbrochen wird.
Auch die Einrichtung der Innenräume mit ihren standardmäßig bodentiefen Fenstern – ein allgemeiner Hang zu großen Fenstern ist eine sympathische Eigenschaft der niederländischen Architektur – ist von vorgefertigten Modulen geprägt. Die jeweils ins Wohnungsinnere geschobenen Badezimmerzellen etwa bestehen einheitlich aus Duschbadschalen. Im Kern ist der rationalistische Geist van Emdens also doch in dieses Gebäude eingekehrt. Trotzdem vernachlässigte das Architektenteam die soziale Komponente nicht: Begegnungs- und Kommunikationsorte sind etwa die doppelstöckigen Lobbies mit Galerie, die es um die Lifte im Erdgeschoss öffnete. Und noch ein ganz besonderes Studentenwohnheimhighlight haben die Architekten eingeführt: Ein Balkon mit Südausrichtung, offen für jeden und auf jeder Etage. Da wird der Rationalismus gewiss auch einmal von romantischen Momenten abgelöst werden. (sj)
Fotos: Stefan Müller
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0815 Architekt | 24.03.2017 13:28 UhrRomantisch?
... das mit dem romantischen Feature kann ich auch nicht ganz nachvollziehen.
Ansonsten bin ich doch entschieden anderer Meinung:
Meines Erachtens ein qualitativ hochwertiger Bau, gut proportioniert und dadurch viel weniger wuchtig als das Volumen vermuten lässt, helle Erschließung (zumindest auf den Fotos), und hochwertig ausgestatte, helle Zimmer .
Man sollte nicht vergessen, dass es sich um ein Studenwohnheim handelt, das natürlich einen finanziellen Rahmen hat... Balkone oder Dachterrassen gibts da ja so gut wie nie.
Dafür m.E. schon gehobener Standard.
@a_C: wo gibts denn Wohnscheiben aus den 50ern? Und als Negativbeispiel?
Nur die Loggien - m.E. eigentlich Innenräume ohne Fenster, mit Parkhaus-Charme - hätte man vielleicht anderweitig besser nutzen können.