Architekturfilme haben in der Regel keine Fortsetzung. Ganz anders bei Starship Chicago. Gerade erst feierte der zweite Teil Premiere und es ist nicht unwahrscheinlich, dass Filmemacher Nathan Eddy in ein paar Jahren einen dritten Teil nachschiebt. Aber ob die potentielle Trilogie ein Happy End haben wird? Man muss das eher bezweifeln, nachdem man Starship Chicago II gesehen hat.
Im ersten Film aus dem Jahr 2017 (den man sich hier ansehen kann) wurde das damals akut abrissbedrohte James R. Thompson Center in Chicago von Helmut Jahn porträtiert. Gegenstand des zweiten Teils ist die laufende Debatte um die Neunutzung des 1985 eröffneten Hauses, das zu den wichtigsten Bauten des 2021 verstorbenen Jahn zählt und sich souverän zwischen High-Tech und Postmoderne positioniert. Viele dürften das ehemalige Verwaltungsgebäude des Staates Illinois aus Publikationen kennen, ohne Genaueres über den hohen gesellschaftlichen Anspruch des Hauses zu wissen.
Eddys Filme machen deutlich, dass sich im Thompson Center eine programmatische Hinwendung der staatlichen Verwaltung zur Öffentlichkeit artikuliert. Für Chicago ist es schlicht und ergreifend ein herausragender politischer Ort. Durch die großzügig zurückschwingende Hauptfassade entstand ein Platz, auf dem viele Demonstrationen stattfanden. Das gigantische, frei zugängliche Atrium und die offenen Großraumbüros zelebrierten eine Transparenz der Verwaltung gegenüber den Bürger*innen. In haustechnischer und klimatischer Hinsicht jedoch war das Haus mit seiner gigantischen Curtain Wall von Anfang an ein Problemfall. Bereits seit einigen Jahren wird das James R. Thompson Center nicht mehr vom Staat genutzt.
Vor zwei Wochen hatte Starship Chicago II Premiere. Bis Sonntag, 18. Juni 2023 ist er auf der Webseite von MAS Context kostenfrei zu sehen. Wie in seinen früheren Dokumentationen setzt Eddy in seinem 40 Minuten langen Film allein auf Aussagen von Interviewpartner*innen und verzichtet auf einen wertenden Kommentar aus dem Off. Stattdessen gibt es reichlich Drohnenaufnahmen, untermalt von sphärischen, manchmal pathetischen oder geradezu bedrohlichen Klängen.
Schnell wird deutlich, dass der Abriss des Hauses zwar abgewendet werden konnte, aber zu einem hohen Preis. Als neuer Hauptmieter wurde Google gefunden, doch leider wollte niemand aus dem Konzern am Film mitwirken. Stattdessen sprechen der Eigentümer Mike Reschke (CEO der Prime Group) und Philip Castillo aus dem Büro Jahn. Sie lassen deutlich durchklingen, dass von der weitgehend erhaltenen Originalsubstanz des Hauses wenig übrig bleiben wird. Das neue Thompson Center werde sogar etwas besser als das Original, meint Castillo selbstbewusst. Sohn Evan Jahn, der dem Büro als CEO vorsteht, ist da etwas zurückhaltender und gerät kurz ins Stocken.
Letztlich spiegelt sich in den laufenden Planungen ein doppelter Paradigmenwechsel. Die demonstrativ offenen Arbeitsräume staatlicher Administration werden von einem mächtigen Tech-Konzern bespielt, der nicht unbedingt für Transparenz bekannt ist. Zudem trifft die Abrissdebatte auf die Forderung nach Energieeffizienz. Eine nur halbwegs denkmalgerechte Entwicklung des Hauses hat da keine Chance. Der Film endet mit dem bedrückenden Hinweis, dass ein Antrag, das Haus in das National Register of Historic Places aufzunehmen, im März abgelehnt wurde. Der Eigentümer hätte zustimmen müssen.
Text: Gregor Harbusch
Starship Chicago II
Nathan Eddy
USA, 2023
40 Minuten
Der Film ist noch bis 18. Juni auf der Webseite von MAS Context zu sehen. Später wird er unter anderem auf dem Architecture Film Festival Rotterdam, dem Architecture & Design Film Festival in New York und dem Festival Film a architektura in Prag gezeigt.
Zum Thema:
Mehr zu Helmut Jahn und dem James R. Thompson Center gibt es in Baunetzwoche#592.
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Anton Schedlbauer | 09.06.2023 23:02 UhrA Building for Year 2000
Die Zukunft ist viel zu schnell vergangen.