Die U-Bahn-Netze der ehemaligen UdSSR sollen ein Lieblingsprojekt Stalins gewesen sein. Als Fanal für eine neue Zukunft wurden die unterirdische Systeme in verschiedenen Städten zu einer Frage des sozialistischen Prestiges. Ihre Stationen spiegeln eine vielfältige Architektur wider: von sozialistischem Klassizismus mit Marmor und Kronleuchtern über einen futuristischen bis hin zum sachlichen Stil. Diese Vielfalt, die jeden Tag Millionen von Pendlern umgibt, zeigt Christopher Herwig in seinem Fotoband Soviet Metro Stations, den er bei Fuel publiziert hat.
Besuche in Moskau und Taschkent weckten das Interesse des Reisefotografen und Dokumentarfilmers für die unterirdische Architektur. Seit Beginn des Metrobaus in den frühen 1930ern in Moskau war vorgesehen, die unterirdischen Anlagen auch als Luftschutzbunker zu nutzen. Im Kalten Krieg stattete man viele der U-Bahnstationen mit hermetisch verschließbaren Toren aus, um sie im Falle eines Atomschlags als Schutzräume nutzen zu können. Deshalb galten sie zu dieser Zeit als militärische Stätten. Das Fotografieren war strengstens verboten.
Dieses Verbot wurde nach Ende des Kalten Krieges aufgehoben. Heute kursieren viele Fotografien der Metrostationen auf Instagram, nur sind sie selten so menschenleer wie Herwigs. Seine Bilder entstanden am frühen Morgen, bevor der Pendlerverkehr beginnt, und in der späten Nacht, wenn Stille herrscht. In ihrer Architektur zeigen sie die politischen Einflüsse vergangener Jahrzehnte: Symbole aus der Sowjetzeit, Reliefskulpturen bedeutender Ereignisse oder Figuren.
Eingeführt wird der Fotoband mit einem Essay von Owen Hatherley. Er schildert, wie unter Stalin in Moskau der Bau begann. In dieser Zeit entstanden die opulentesten Stationen. Nie zuvor wurde im Arbeiter- und Bauernstaat etwas ingenieurtechnisch so Komplexes umgesetzt. Dabei ging es vor allem darum, zu zeigen, wie ohne die Instrumente des Kapitalismus große Vorhaben realisiert werden können. Das stellte aber nur den Beginn einer umfassenden Bauaktivität dar, die sich schrittweise in mehr als ein Dutzend Städte im heutigen Russland, der Ukraine, Weißrussland, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und Usbekistan erweiterte.
Herwig ordnet seine Fotografien der Stationen nach Entstehung und beginnt mit der Station Dnepr in der Ukraine, die 1995 eröffnet wurde, zeigt Minsk in Weissrussland (1984) vor Jerewan in Armenien (1981). Der Band endet mit einer Reihe Fotografien der Moskauer Metrolinie, von denen die ältesten Stationen vor über 80 Jahren entstanden.
Text: Katrin Schamun
Soviet Metro Stations
Fotos von Christopher Herwig
Mit einem Essay von Owen Hatherley
Englisch
248 Seiten
FUEL Publishing, London 2019
ISBN 978-0-9957455-6-8
26,80 Euro