Es kommt in der Architektur eher selten vor, dass sich die Studenten nach einer Vorlesung brav einreihen, um vom Star des Abends ein Autogramm zu bekommen. Oder, etwas zeitgemäßer, um ein Selfie mit ihm zu schießen, das dann sogleich auf Facebook gepostet werden kann. Am vergangenen Donnerstag wollte die Schlange allerdings gar nicht mehr abreißen, als Sou Fujimoto im Rahmen der ausgezeichneten Positionen-Reihe des Fachgebiets Regine Leibinger an der TU Berlin sprach.
Der Grund für diese Hingabe? Nun, Fujimoto schien mit seinem äußerst launigen Vortrag einen Nerv getroffen zu haben. Und das nicht zuletzt durch seine Selbstbeschreibung des Stararchitekten als jungen Mann, der meist bis mittags schlief, um dann lange durch Tokio zu spazieren und dabei etwas über Architektur zu sinnieren. Anscheinend eine erfolgreiche Methode, denn mit seinen 43 Jahren ist Fujimoto nicht nur weltbekannt, sondern ganz offensichtlich auch einer der beliebtesten Architekten.
Neben seinen bahnbrechenden Privathäusern trug vor allem der diesjährige Serpentine-Pavillon in London zu seinem Ruhm bei. In seinem Vortrag zeigte er aber auch jüngere Projekte wie eine öffentliche Toilette aus Glas oder eine Shopping-Meile für Doha. Der Hype um Fujimoto ist dabei Ausdruck eines derzeit ohnehin ziemlich großen europäischen Interesses an japanischer Architektur. Wir haben uns daher in die Schlange eingereiht, um mit Sou Fujimoto über Gründe hierfür zu sprechen.
Der Hörsaal war unglaublich voll heute Abend. Wie wird dieses große Interesse an japanischer Architektur in Japan selbst wahrgenommen?
Ich persönlich freue mich sehr darüber. Allerdings weiß ich gar nicht so genau, woher das kommt und wie groß der Einfluss unserer Arbeit auf die Architektur in Europa tatsächlich ist. Aber unsere Popularität ist auf jeden Fall auch der Verdienst von Architekten wie Toyo Ito und Kazuyo Sejima. Sie haben für meine Generation die Türen weit geöffnet, und ich fühle mich dafür verantwortlich, sie offen zu halten.
Wenn wir aus europäischer Sicht über Ihr Land sprechen, was ist an ihrer Architektur typisch japanisch?
Typisch ist vielleicht, dass es in meiner Arbeit oft um das Dazwischen geht, das sich zwischen eindeutigen Positionen entfaltet; diese Mehrdeutigkeit ist ziemlich japanisch. Zum Beispiel die Gleichzeitigkeit von Natur und Architektur. Ich möchte, dass sich beides durchdringt, damit etwas Neues entsteht. In diesem Sinne sind fast alle meine räumlichen Konzepte ziemlich japanisch.
Sie arbeiten inzwischen auch viel in Europa, lassen sich japanische Konzepte dahin übertragen?
Ich möchte meine Architektur ohnehin nicht einfach nur auf einen traditionellen japanischen Kontext beschränken. Mein Verhältnis zu diesen Traditionen ist zwar ziemlich vielschichtig, aber genau so wichtig sind für mich internationale Einflüsse. Ich mag die neuen Eindrücke und Ideen, die mir andere Länder und Kulturen vermitteln. Darum macht mir auch die Erweiterung der Kunsthalle Bielefeld so viel Spaß, weil da aus verschiedenen Traditionen etwas Neues entsteht. Ohnehin glaube ich aber, dass es zwischen fast allen Formen der Architektur große Überschneidungen gibt. Egal, welche spezifischen Themen abgehandelt werden, am Ende geht es doch immer um die Menschen.
Ihr Konzept der „Stadt als Wald“, also der kleinteiligen Durchdringung von Natur und Architektur, hat ihre Ursprünge in der spezifischen Stadtstruktur Tokios. Könnten Sie sich einen ähnlichen Ansatz auch für Berlin vorstellen?
Im Vergleich zu Asien hat die Verkehrsinfrastruktur in Städten wie Berlin oder Paris natürlich ganz andere Ausmaße, was auch weniger Durchdringung zulässt. Aber auch hier konzentriert sich ein Großteil des Alltags der Menschen auf kleinteilige Räume wie Cafés und örtliche Geschäfte. So gesehen gibt es in jeder Kultur städtebauliche Elemente, die sich auf einen menschlichen Maßstab beziehen und die zusammen die Stadt ergeben. Anderseits ist es aber ja gerade auch gut, dass nicht alles gleich ist. Schließlich sind kulturelle Unterschiede auch eine meiner wichtigsten Inspirationsquellen.
Egal ob in Europa, Japan oder anderswo, an welchen Themen und Projekten würden Sie in den nächsten Jahren gerne arbeiten?
Grundsätzlich interessiert mich praktisch alles in der Architektur, und ich würde gerne auch weiterhin unter ganz unterschiedlichen klimatischen und kulturellen Bedingungen arbeiten. Bestimmte Bauaufgaben sind mir da gar nicht so wichtig, es geht eher darum, herauszufinden, was mit und durch Architektur noch alles möglich ist.
Das Interview führten Stephan Becker und Luise Rellensmann. Mit Dank an das Fachgebiet Regine Leibinger.
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Hellmut Raff | 18.12.2013 09:08 Uhrvon Tübingen nach Berlin
Das Fachgebiet Regine Leibinger verdankt dieses große Event der ausgezeichneten Vortragsreihe "Architektur Heute" an der Universität Tübingen, seit Jahren von der Kunsthistorikerin Dr. Ursula Schwitalla organisiert. In diesem Semester hat sie unter dem Thema "Learning from Tokyo" vier der wichtigsten zeitgenössischen japanischen Architekten eingeladen und zwei von diesen an die TU Berlin weitervermittelt. Auch an der Tübinger Universität waren fast 600 Hörer von den zukunfstweisenden Ideen und Positionen des japanischen Architekten fasziniert. Hoffentlich kann auch in Zukunft eine Kooperation zwischen Tübingen und Berlin solche ausgezeichnete Vorträge ermöglichen.