In den letzten zehn Jahren erlebte die nordmazedonische Hauptstadt Skopje eine beispiellose architektonische Transformation ihres Zentrums. Unter dem Projekttitel „Skopje 2014“ ließ die bis 2016 das Land regierende rechtskonservative Partei VMRO-DPNME unter Führung von Nikola Gruevski in Eigenregie und ohne die Stadtgesellschaft oder eine professionelle Architektenschaft einzubeziehen an den Ufern des Flusses Varda zahlreiche pseudohistorische Neu- und Umbauten zu einem regelrechten Spottpreis von rund 700 Millionen Euro realisieren. Das Resultat ist ein teils grotesk entstellter öffentlicher Raum, dessen „Sanierung“ mithilfe von viel Styropor und Gips keine städtebauliche Instandsetzung war, sondern allein dem politischen Zweck einer nationalistisch und populistisch motivierten Identitätskonstruktion diente.
Die Schweizer Künstlerin
Susanne Hefti hat diese rasanten baulichen Veränderungen auf mehreren Reisen nach Skopje fotografisch dokumentiert. Die so entstandene Bildserie „Unsound Trajectories“ bildet nun die visuelle Basis einer Publikation, die in enger Zusammenarbeit mit dem aus Skopje stammenden Architekten und Kurator
Damjan Kokalevski entstand. Sie zeigt am Beispiel von „Skopje 2014“, wie ein Stadtbild in den Händen einer rechtsgerichteten, korrupten Regierung zum ideologischen Instrument wird, um Macht zu zementieren und Geschichte zu verfälschen. Der Titel des Buches „Skopje Walkie Talkie“ verweist dabei auf die ihm zugrunde liegende Untersuchungsmethode: durch die Straßen streifen und über das dort Gesehene reden.
Dementsprechend beginnt der großformatige Band mit einem Gespräch, das Hefti und Kokalevski während eines ausgedehnten Stadtspaziergangs mit der Architektin und Aktivistin
Ivana Kostovska aus Skopje, dem Architekten und Kunsthistoriker
Milan Dinevski aus Ljubljana und
Philip Ursprung, Professor am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der ETH Zürich, geführt haben. Es ist eine interessante Bestandsaufnahme, die im Abgleich mit persönlichen Erinnerungen und architekturgeschichtlichem Wissen an konkreten Beispielen aufzeigt, wie brutal vor allem das moderne, aus den 1960er und 70er Jahren stammende Architekturerbe Skopjes durch die angebliche „Rehistorisierung“ beschädigt, zerstört oder – ganz im Sinne des Wortes – verkleidet wurde.
Der anschließende umfangreiche Bildteil nimmt die Leser*innen mit auf einen experimentellen Streifzug durch Skopjes Zentrum. Hefti hat ihre Fotografien dafür rasterförmig nach Orten gruppiert und sie so in das Buch gesetzt, dass kein Motiv ganz auf einer Seite zu sehen ist. Stattdessen entsteht ein verwirrendes Kaleidoskop visueller Fragmente und verschiedener Zeitebenen, das kein konsistentes Bild vermittelt, sondern Vielschichtigkeit, Brüche und Leerstellen hervorhebt. Gerahmt wird diese Fotostrecke von zwei Theorietexten: Die in Skopje lebende Kunsthistorikerin
Suzana Milevska steckt den Hintergrund von „Skopje 2014“ ab und geht auf die zivilgesellschaftliche Protestbewegung „Colourful Revolution“ ein. Damjan Kokalevskis Essay kreist um das nur unvollständig erhaltene stadtplanerische Archivmaterial zum Wiederaufbau Skopjes nach einem verheerenden Erdbeben 1963. Damals entwarfen Vetreter einer internationalen Moderne – darunter auch Kenzo Tange – die Bauten und öffentlichen Räume, die nun zum Teil hinter den historisierenden Kulissen verschwunden sind.
Formal betrachtet setzt das hochwertig produzierte Fotobuch auf die große Geste. Der überdimensionale Band wiegt schwer und verleiht seinem Gegenstand so ganz buchstäblich Gewicht und Größe. Gepaart mit einer Gestaltung in Marmoroptik reproduziert dieses Erscheinungsbild die Monumentalität und Ästhetik der „Skopje 2014“-Bauten allerdings auf eine Weise, die durchaus verwundert. Zwar legt ein Farbklecks aus rotem Lack – Referenz an die „Colourful Revolution“ – eine spielerisch-ironische Lesart nahe. Angesichts der Ernsthaftigkeit des Themas und des kritischen Anspruchs des Buches lässt gerade das aber eine gewisse Diskrepanz zwischen Optik und Inhalt entstehen. Dies mag als weiterer „Bruch“ beabsichtigt sein, könnte beim eiligen Blick auf das Cover aber auch zu Missverständnissen führen
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Text: Diana ArtusSkopje Walkie Talkie
Susanne Hefti und Damjan Kokalevski (Hg.)
Englisch
242 Seiten
Spector Books, Leipzig 2019
ISBN: 978-3-95905-246-7
40 Euro
Zum Thema:
Auch die Baunetzwoche#520: Skopje. Von der Moderne zur Karikatur beschäftigte sich mit dem Stadtumbauprojekt „Skopje 2014“.