Als Professorin am Lehrstuhl für Individualisierte Bauproduktion der RWTH Aachen entwickelt Sigrid Brell–Cokcan Systeme zum Einsatz von Robotern im Bauwesen. Eines ihrer Ziele ist, mit Technik Bauprozesse nachhaltig zu automatisieren. BauNetz sprach mit ihr im Vorfeld des kommenden Klimafestivals über die Chancen und Möglichkeiten der Baustellenrobotik im Kontext des Klimawandels.
Mit Technologie gegen den Klimawandel anzugehen, das macht zunächst stutzig. High-Tech ist doch das Gegenteil von Reduktion und Einfachheit. Wie können hochtechnologische Systeme wie die Baurobotik zu einer klimabewussten Baupraxis beitragen? Es geht darum, Prozesse entlang der Wertschöpfungskette auf der Baustelle besser zu verstehen und zu unterstützen. Im Moment wissen wir nicht, wieviel Energie, wieviel Emissionen oder Ressourcen wir bei unseren Bautätigkeiten tatsächlich verbrauchen. Das zu verstehen ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, um mit Entschlossenheit dem Klimawandel entgegen zu treten.
KI und digitale Plattformen werden uns hierbei als Assistenzsysteme unterstützen, um in Zukunft, von menschlichen Erfahrungen lernend, Entscheidungsprozesse besser evaluieren sowie transparenter und effizienter gestalten zu können. Es geht nicht darum, Menschen durch Maschinen zu ersetzen, sondern Menschen in den Entscheidungsprozessen auf der Baustelle zu unterstützen. Das wird auch dabei helfen, Arbeitsplätze auf Baustellen attraktiver zu gestalten und ein neues Bewusstsein für die Klimafolgen des eigenen Handelns zu schaffen.
Baurobotik wird hier neben digitaler Assistenzsysteme auch eine intelligente maschinelle Unterstützung ermöglichen und entscheidend sein für eine künftige kooperative Arbeitswelt von Mensch und Maschinen.
Sie leiten an der RWTH Aachen den Lehrstuhl für individualisierte Bauproduktion und forschen zu verschiedenen Einsatzmöglichkeiten automatisierter Systeme im Bauprozess. Welche konkreten Projekte und Erkenntnisse gibt es da aus den vergangenen Jahren? Wir freuen uns, dass wir mit unserem interdisziplinären Team an der RWTH Aachen und unseren europäischen Industriepartnern des Centers Construction Robotics entscheidende Durchbrüche erzielen konnten. Auf der Referenzbaustelle der RWTH kooperieren wir dabei auch mit lokalen Verbänden wie dem Bauindustrieverband NRW oder dem deutschen Stahlbauverband.
Im Forschungsprojekt Internet of Construction IoC ist es uns beispielsweise gelungen, software- und hardwareunabhängig die Wertschöpfungskette von der Vorproduktion bis auf die Baustelle nachzuvollziehen. Im Sinne des Industrie 4.0-Paradigmas konnten wir diese Erkentnisse in einer Bauontologie digital abbilden und im Rahmen von konkreten Bauprozessen mittels verschiedener Demonstratoren auf der Baustelle validieren. Das eröffnet neue Möglichkeiten in der Bauprozessgestaltung, Ressourcenplanung, Baustellenplanung und erweitert die Ansätze von BIM oder digitalen Zwillingen im Zusammenhang mit der Baurobotik.
Ein zweiter Durchbruch sind aktuelle Ergebnisse in der Digitalisierung und Robotisierung von herkömmlichen Baumaschinen zum automatisierten Einsatz in der kontrollierten Montage und Demontage von Bauteilen. Als einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft des Bauens entwickeln wir im Projekt ROBETON neue Ansätze für Rückbaumethoden zur Wiederverwendung von ganzen Bauteilen aus Beton. Dieses Projekt ist für den BAUMA Innovationspreis 2022 nominiert. Anstelle neue Roboter zu entwickeln, vertreten wir den Ansatz, herkömmliche robuste Baumaschinen zu modifizieren.
Welche Hindernisse gibt es in einem Land wie Deutschland derzeit noch, um die Erkenntnisse auch großflächiger in die Praxis umzusetzen? Im Moment spüren wir, dass der Wille zur Umsetzung von Erkenntnissen aus der Forschung gerade in die Baupraxis rapide wächst. Innovationstreiber sind meist starke Marktzwänge, die der Industrie abverlangen, in kurzer Zeit ihre Geschäftsmodelle radikal neu zu denken.
Der aktuelle Druck und die Unsicherheit ist zurzeit hoch: die allgemeine Ressourcenknappheit, Materialengpässe, Energiekrise, Arbeitskräftemangel und der Klimawandel. Der Klimawandel alleine würde hier kaum etwas bewegen – die Ballung vieler Herausforderungen führt jedoch zu einem höheren Innovationswillen auf allen Ebenen, von der Politik bis zu Kleinstunternehmen. Wer in schwierigen Zeiten in Innovation und Know-how investiert, kommt gestärkt aus jeder Krise.
In Ausbildung und Forschung können wir hier daher gemeinsam zurzeit sehr viel bewegen. Die Referenzbaustelle der RWTH Aachen bietet hier auch die geeignete physische Plattform, in einem geschützten Umfeld Tests und Validierungen für neue Innovationen durchführen zu lassen – noch vor der Markteinführung beziehungsweise der Verwendung auf tatsächlichen Baustellen.
Auf dem Klimafestival sprechen Sie zu digitalen Prozessen und zur digitalen Baustelle. Wie tragen diese zur Effizienz bei, und was erwartet die Besucher*innen auf Ihrer Session? Auf dem Klimafestival berichte ich von unseren Erkenntnissen aus zwei Jahren Forschung auf der Referenzbaustelle der RWTH Aachen. In dieser kurzen Zeit haben wir in verschiedensten Forschungskonsortien durch einfaches „Machen“ das „digitale Loch“ auf der Baustelle untersucht und bearbeitet. Von der Datenorchestrierung nach Industrie 4.0 in der Baulogistik bis hin zu ersten Bauroboteransätzen erreichen nun Forschungsergebnisse die Baustellen unserer Forschungspartner.
Die Fragen stellte Sabina Strambu.
Zum Thema:
Auf dem Klimafestival spricht Sigrid Brell–Cokcan am Donnerstag, den 3. November 2022 (16–17.15 Uhr) mit Laura Lammel von lammel digital über die „Digitalisierung und Automatisierung“ durch Robotik auf der Baustelle und gibt hierbei best-practice-Beispiele ihrer Arbeit an der RWTH Aachen.
Die Teilnahme am Klimafestival ist kostenfrei. Die Anmeldung erfolgt über die Website: klimafestival.heinze
Auf Karte zeigen:
Google Maps