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12.11.2015
Wohnungsfrage
Sieben Antworten von Nikolaus Hirsch
Die Wohnungskrise ist eine Frage der Zukunft – und der Gegenwart. Nikolaus Hirsch, neben Jesko Fezer (siehe Interview vom 22. Oktober) einer der vier Kuratoren des Projekts Wohnungsfrage im Haus der Kulturen der Welt, gibt uns sieben Antworten.
Von Jeanette Kunsmann
Die Ausstellung wurde vor drei Wochen eröffnet. Ihr jetziges Resümee?
Die Resonanz war bisher sehr positiv. Ein wesentlicher Grund hierfür ist meines Erachtens, dass es sich weder um eine reine Architekturausstellung, noch um eine klassische Kunstausstellung handelt. Wohnungsfrage ist eine thematische Ausstellung, die verdeutlicht, dass Wohnen nicht nur eine Sache von sogenannten Experten ist, sondern insbesondere auch von Nutzerinitiativen und den Bewohnern selbst. Zudem besteht Wohnungsfrage nicht nur aus einer Ausstellung – die zweitägige Konferenz, die Akademie „The Housing System“ unter Leitung von Reinhold Martin und die zwölfbändige Buchreihe erweitern das Spektrum des Projekts. Diese komplementären Formate führen die Diskussion um das Thema weiter – auch nach Abbau der Ausstellung.
Sie haben gesagt, dass der Wohnungsbau etwa 20 Jahre lang kein Thema für die Politik war und das Thema jetzt mit umso mehr Wucht zurückkehrt. Wie können und sollen Architekten Ihrer Meinung nach reagieren? Sie sind ja selbst auch Architekt.
Im Zuge dessen, was wir den Neoliberal Turn nennen, hat sich der Staat in den vergangenen 20, 30 Jahren zunehmend von einer aktiven Rolle im Wohnungsbau verabschiedet und die Entwicklung dem Markt überlassen. Nun ist das Thema zurück und alles muss sehr schnell gehen. Dabei besteht die Gefahr, dass die alten Rezepte wieder aus der Schublade geholt werden und es primär um das Abarbeiten von Quadratmeter-Vorgaben geht. Die These des Wohnungsfrage-Projekts ist dagegen, dass es sich nicht primär um ein numerisches Problem handelt, sondern um die Frage, wer die Akteure des Wohnungsbaus und des Wohnens sind. Gerade als Architekt weiß ich, dass die Frage des Bauherren essentiell ist. Deshalb stellt die Ausstellung die Frage: Wer sind die neuen Bauherren?
Welche alternativen Wohnmodelle könnten sich in den nächsten Jahren in Europa und in Deutschland etablieren? Was sind die Grundbedürfnisse des Wohnens?
Die Möglichkeit von alternativen Wohnmodellen hängt im Wesentlichen von der Entwicklung alternativer ökonomischer und rechtlicher Modelle ab: neue Eigentums- und Mietmodelle, kooperative Strukturen, aber auch eine Infragestellung der Normen und Standards im Wohnungsbau. Im Namen eines technologischen, auch ökologischen Fortschritts wurden überzogene baurechtliche Normen entwickelt, die nun einer Lösung der Wohnungsfrage entgegenstehen. Diese Standards an Fassadenaufbau, Wärmedämmung, Innenausbau usw. gilt es zu hinterfragen und neu zu interpretieren. Hier liegt auch die Chance für eine neue Architektur, für eine neue Ästhetik im Wohnungsbau. Aber hier ist neben den Architekten eben auch der Staat als Gesetzgeber und gestaltende Kraft gefordert. Ähnlich wie in den Zeiten der heroischen Moderne sind Modellvorhaben notwendig, die einen neuen Wohnungsbau vorantreiben.
Ihre Meinung zum Wohnexperiment Baugruppe?
Ambivalent. Einerseits handelt es sich zum Teil um großartige Experimente in Sachen Partizipation. Zum anderen klingt der Begriff „Baugruppe“ experimenteller als er ist. Man könnte ja auch prosaisch sagen: Bauherrengemeinschaft. Der springende Punkt dabei: Es handelt sich um Eigentum mit Wertzuwachs. Hier benötigen wir alternative Konzepte. Deshalb zeigen wir im Rahmen der Ausstellung kein Baugruppenmodell, sondern Konzepte wie das Mietshäusersyndikat im Projekt von der Realism Working Group und Dogma.
Im ehemaligen Gebäude des Flughafens Berlin-Tempelhof ist fast zeitgleich zur Eröffnung der Wohnungsfrage eine Notunterkunft für Flüchtlinge realisiert worden. Eine gute Entwicklung oder problematisch?
Die Wohnungsfrage ist durch den Zustrom von Flüchtlingen noch akuter geworden und – ohne Ironie – könnte dies zur Wiederauferstehung des geförderten Wohnungsbaus führen. Die Notunterkünfte sind, wie der Name schon sagt, der Not geschuldet. Problematisch, jedoch offenbar angesichts der überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen derzeit unvermeidlich. Die große Frage ist: Wie geht es danach weiter? Wie funktioniert Wohnen nach der Notunterkunft, nach der Erstaufnahme? Wie lässt sich Ghettoisierung vermeiden? Wie heißt Integration? Hier spielt Wohnungsbau eine entscheidende Rolle. Deshalb werden wir uns im Rahmen des Wohnungsfrage-Projekts mit einer spezifischen Veranstaltung dem Thema Migration und Wohnen widmen.
Wird die Ausstellung weiter wandern?
Wir sind im Gespräch mit verschiedenen internationalen Institutionen, die an einer Übernahme interessiert sind. Da die vier realisierten 1:1 Modelle einen starken Berlin-Bezug haben, müsste die Ausstellung selbstverständlich adaptiert werden und neue lokale Akteure einbezogen werden.
Und was passiert eigentlich mit dem Erdaushub, den die Künstlerin Lara Almarcegui im Foyer des HKW zu einem Hügel aufgeschüttet hat?
Das Werk „Berlin Excavation“ von Lara Almarcegui wird nicht wandern – es ist eine ortsspezifische Arbeit, die für das Foyer des HKW entwickelt wurde. Die ausgehobene Erde zeigt einen verborgenen Aspekt der urbanen Transformationsprozesse und wird nach Ende der Ausstellung wieder in den Materialkreislauf der Aushub-Firma eingespeist.
„Wohnungsfrage“ ist das Eröffnungsprojekt von „100 Jahre Gegenwart“ und noch bis zum 14. Dezember 2015 im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, zu sehen. BauNetz ist Medienpartner des HKW-Projekts Wohnungsfrage.
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Nikolaus Hirsch, Foto: Tobias Katz
Atelier Bow-Wow, Urban Forest, 2015, Foto: Jens Liebchen
Realism Working Group + Dogma: Communal Villa – Production and Reproduction in Artists’ Housing, Foto: Jens Liebchen
Lara Almarcegui: Berlin Excavation 2015, Installation, 400 Kubikmeter Erde, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin, Foto: Jens Liebchen