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02.08.2022

Buchtipp: Stadt Land Hund

Sibylle Bergemann. Fotografien 1966–2010


Das erste Farbfoto kommt wie ein Paukenschlag. Denn es sind ja vor allem die Schwarz-Weiß-Fotografien, mit denen Sibylle Bergemann (1941–2010) bekannt geworden ist: Ihre präzisen Beobachtungen des DDR-Alltags, Ruinen und Baustellen, abblätternde Altbaufassaden, Tanzen in Clärchens Ballhaus und natürlich ihre schnoddrig-schönen Modefotos in den Straßen Ostberlins. All das dokumentiert die Publikation Sibylle Bergemann. Stadt Land Hund. Fotografien 1966–2010.

Und so hat man es sich im Buch gerade gemütlich gemacht zwischen den gut bekannten Aufnahmen einer jungen Katharina Thalbach als rauchende Bohemienne, einem Model, das im Ledermantel selbstbewusst breitbeinig vor einem schwarz qualmenden Fabrikschlot steht, und zwei Jungen, die auf einem Hinterhof mit einer Puppe spielen. Bergemann hat kaum im Studio fotografiert, und so spielt die Stadt auf allen Fotos immer eine Rolle. Wie nebenbei sind dadurch bei ihren Modeaufnahmen einige der eindrücklichsten Fotografien moderner Stadtlandschaften in der DDR entstanden. Es sind präzise komponierte, schwarz-weiße Gemälde des Augenblicks, denen man sich ganz hingeben kann.

Da platzt plötzlich ein knallrotes Bild dazwischen, fotografiert 2010 in Senegal. Das fühlt sich ein wenig an, als ob man aus einem Richard-Meier-Gebäude in den Anbau von Luis Barragán tritt. Aber danach geht es zunächst in ruhigem Schwarz-Weiß weiter. Die Reihenfolge der Bilder ist von einer rein chronologischen Ordnung befreit, und so konnten die farbigen Paukenschläge freier verteilt werden. Mit dem Hin- und Herblättern verlieren die farbigen Bilder ihre Sensation und werden zu einer von vielen Schattierungen in Bergemanns vierzigjährigem Schaffen. Ebenso wird klar, dass es nicht um eine scharfe Trennung von vor und nach 1989 geht. Gut so, denn dadurch ist Bergemanns Fotografie von allzu kategorischen Zeitzuschreibungen losgelöst, und es bleibt der befreite Blick aufs Bild.

Längst sind Kataloge mehr als reine Reproduktionen der Ausstellungsinhalte. Und so ist auch der Titel „Stadt Land Hund“, der zu einer aktuellen Ausstellung in der Berlinischen Galerie gehört, ein eigenständiges, klug gemachtes Buch. Nach einer kurzen Einführung lassen die Autor*innen 120 Seiten lang Bergemanns Bilder sprechen. Zu sehen ist ein breit gefächerter Überblick, der sich aber immer wieder Zeit nimmt, um bei bestimmten Werkgruppen wie „Fenster“, „Clärchens Ballhaus“ oder bei Bergemanns lässiger Langzeitbeobachtung „Das Denkmal“ in die Tiefe zu gehen.

Abgerundet wird das Buch zum Schluss von sechs Essays, die sich verschiedenen Aspekten im Werk widmen: Anne Pfautsch schreibt über Bergemanns Dokumentationen privater Räume und die Bedeutung (und Begrenztheit) von privatem Leben in der DDR, Jan Wenzel erzählt die Hintergründe zu „Das Denkmal“ und öffnet dabei ein wunderbar breites, kulturgeschichtliches Panorama aus Assoziationen, Verweisen und Verbindungen. Susanne Altmann interessiert sich für die Typologien von Weiblichkeit und Bergemanns Tochter Lily von Wild für die Reisen ihrer Mutter. Den Essays gelingt es, weitere Bedeutungsebenen in den Fotos freizulegen, sodass man immer wieder zur Bilderstrecke zurückkehrt und diese aufs Neue zu sehen beginnt.  

Text: Florian Heilmeyer

Sibylle Bergemann. Stadt
Land Hund. Fotografien 1966–2010
Berlinische Galerie (Hg.)
Gestaltung: Büro Otto Sauhaus

264 Seiten
Hatje Cantz, Berlin 2022
ISBN 978-3-7757-5207-7
48 Euro


Zum Thema:

Bis 10. Oktober 2022 ist in der Berlinischen Galerie (Alte Jakobstraße 124–128, 10969 Berlin) die zugehörige Ausstellung zu sehen.


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