Die Anwesen des National Trusts, der größten Denkmal- und Naturschutzorganisation Europas in Großbritannien, sind traditionell beliebte Ausflugsziele der der sogenannten „Blue-rinse-Brigade“ – auf Deutsch etwa „ältere, konservative Damen mit lila Haaren“. Eines der Landhäuser brannte vor zwei Jahren vollständig aus: Clandon Park, eines von nur wenigen erhaltenen Gebäuden des venezianischen Architekten Giacomo Leoni (1686–1746). Umgeben ist der palladianische Landsitz von einem als Grade I gelisteten Garten mit Gestaltungselementen des bedeutendsten englischen Landschaftsarchitekten des 18. Jahrhunderts: Lancelot „Capability“ Brown.
Zur Sanierung und Umgestaltung des derzeit beeindruckend ruinösen Clandon Park lobte die in England, Nordirland und Wales aktive Stiftung erstmalig einen internationalen Architekturwettbewerb aus. Dadurch erhofft sie sich, die Besucherzahlen des eine Stunde südwestlich von London gelegenen Ortes zu steigern – und ihre Zielgruppe über die lilanen Damen hinaus zu erweitern. Die Organisation, die sich selbst die höchsten museumskonservatorischen und denkmalwissenschaftlichen Standards zuschreibt, verfolgt laut Auslobung eine recht ambivalente Erhaltungsstrategie für das Haus: So solle etwa die zentrale Marble Hall mit ihrer barocken Decke und die umliegenden Räume, denen von Experten besonders hoher architektonischer Wert zugeschrieben wurde, originalgetreu restauriert werden, obwohl man beim jetzigen Zustand des Gebäudes eher von einer Rekonstruktion sprechen müsste.
Die Generaldirektion stellt sich sogar eine „reinere und treuere Version von Clandon, wie es im 18. Jahrhundert erbaut wurde“ vor. Gleichzeitig soll der Umgang mit „weniger architektonisch signifikanten Räumen“ – wie dem Obergeschoss – einer as found-Strategie folgen und somit auch die jüngere Geschichte des Hauses inklusive des einschneidenden Feuers berücksichtigen. Desweiteren waren die Entwerfenden gefragt, Feuer und Wettbewerb als Chance zu begreifen, Landschaft und Architektur zu einer stärkeren Einheit zu verweben.
Seit letzter Woche stellt der National Trust die Konzepte der Shortlist-Kandidaten des zweiphasigen Wettbewerbs in Clandon Park aus. Die sechs Teams – hauptsächlich Londoner und New Yorker Büros – waren aus insgesamt 60 Bewerbern ausgewählt worden.
- AL_A (London) und Giles Quarme & Associates (London) mit Landschaftsarchitekten GROSS.MAX (Edinburgh)
- Allies and Morrison (London) und Feilden+Mawson (London) mit Landschaftsarchitekt Tom Stuart-Smith (London)
- Donald Insall Associates (London) und Diller Scofidio + Renfro (New York) mit Landschaftsarchitekt Tom Stuart-Smith (London)
- Purcell (London) und Sam Jacob Studio (London) mit Churchman Landscape Architects (London)
- Selldorf Architects (New York), Cowie Montgomery Architects (Lewes/East Sussex) und Martin Ashley Architects (Twickenham) und Vogt Landschaftsarchitekten (Berlin)
- Sergison Bates Architects (London) und AOC Architecture (London) mit Landschaftsarchitekt Tom Stuart-Smith (London)
Die Entwürfe vereinen zwei extreme Haltungen in einem Gebäude: Die Idee einer Perfektionierung in Form von einer wissenschaftlich belegten Rekonstruktion der vermeintlich originalen Zeitschicht in den zentralen Innenräumen sowie freie Interventionen und eine zeitgemäße Programmierung mit Ausstellungsflächen, Café und Empfangs- und Workshopräumen im Rest der derzeit ausgebrannten Ruine.
Den Visualisierungen nach zu urteilen variieren die Wettbewerbsbeiträge zwischen kontrastreichen Interventionen, minutiöser Rekonstruktion, vorsichtigem Einfügen und materialgerechtem Weiterbauen und Neuinterpretation der Innenräume. Im Internet werden die Arbeiten mit kurzen Videos präsentiert. Bis Anfang Oktober hat die Öffentlichkeit Gelegenheit, Ideen und Gedanken einzubringen, bevor eine Jury den Siegerentwurf kürt. Mitte 2018 soll das überarbeitete Gewinnerkonzept präsentiert werden. 2023 will der
National Trust Clandon Park wieder eröffnen.
(lr)
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