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23.06.2017

Regen erwünscht

Serpentine Pavilion von Francis Kéré


Von Christina Gräwe

Ausnahmsweise hätten sie sich einmal Regen gewünscht, erzählen die Kollegen der Serpentine Galleries. Aber den spektakulären Wasserfall in seinem Inneren bleibt der diesjährige Sommerpavillon neben dem ständigen Spielort der Galerie in Londons Kensington Gardens in den ersten Tagen schuldig. Im Schatten des Baum-Pavillons, der bis 8. Oktober hier stehen wird, lässt es sich aber auch bei Sonne und Wolken hervorragend pausieren. Entworfen und „gepflanzt“ hat ihn Francis Kéré (Berlin). Kéré ist in London kein Unbekannter, nahm beispielsweise 2014 an der Ausstellung Sensing Spaces in der Royal Academy of Arts teil. Er hat in Großbritannien aber noch nie gebaut und erfüllt damit eine der Voraussetzungen, sich auf Einladung der Serpentine Galleries in den Reigen ganz unterschiedlicher Sommerbauten einzureihen – als 17. Architekt seit dem Jahr 2000 nach Bjarke Ingels Group 2016, Sou Fujimoto 2013 und SANAA 2009, um nur einige der besonders luftigen Pavillons zu nennen. Wie so oft in Großbritannien, spielt auch beim Serpentine Pavilion die Unterstützung durch Unternehmen eine entscheidende Rolle. Finanziert wird der Pavillon dieses Jahr und zum dritten Mal in Folge von der Investmentbank Goldman Sachs.

Die Einladung war für Kéré eine große Überraschung, wie er sagt. Zunächst studierte er gründlich die Vorgängerbauten, um zu verstehen, womit sie in Erinnerung geblieben sind. Mit seinem eigenen Entwurf wollte er „bei seinen Wurzeln bleiben und noch ein bisschen mehr tun“. Seine Idee war, kulturelle Gepflogenheiten seiner Heimat Burkina Faso nach London zu bringen und gleichzeitig mit dem Bau auf das hiesige Klima zu reagieren. Seine Haltung, sozial und ökologisch zu bauen, steckt wie von selbst auch in dieser kleinen Architektur. Der geschützte Raum, den der Schatten von Baumkronen bildet, gilt in Kérés Heimat als sozialer Mittelpunkt des dörflichen Lebens. Hier trifft sich die Gemeinschaft, tauscht sich aus und feiert.

Die Übersetzung des Baums in Architektur besteht im Wesentlichen aus einem Dach, das wie ein umgestülpter Schirm (oder „Flying Saucer“, wie der Guardian schreibt) über vier gekurvte Holzwände weit auskragt. Die konvex und konkav gekrümmten Wandscheiben wechseln sich ab und lassen vier Eingänge zwischen sich offen. Umrundet man den Pavillon, werden die Blicke ganz unterschiedlich gelenkt. Licht und Luft strömen reichlich in den Innenraum, denn zwischen Dach und Wänden sitzt ein breiter, durchgängig offener Spalt. Zwei runde Aussparungen bestimmen den ellipsenförmigen Raum: Bei Regen sammelt sich das Wasser in der trichterförmigen, außermittig sitzenden Öffnung des Dachs und stürzt als ringförmige Wasserwand in das kiesgefüllte Loch im Boden, bevor es zur Parkbewässerung weitergeleitet wird.

Die Konstruktion besteht aus einer Kombination aus vorgefertigten, zickzackartig ausgeschnittenen Holzmodulen und einem Stahlgerüst. Die experimentierfreudigen Ingenieure des international tätigen Büros AECOM haben eine zugleich robuste und filigrane Tragstruktur ermöglicht („eine echte Herausforderung“), die kranzförmig das zehn Meter auskragende Dach stützt. Dessen Unterseite ist mit feingliedrigen Holzelementen verkleidet, aus denen dreieckige Ausschnitte wie Luken nach oben geklappt sind. Zusammen mit den durchbrochenen und an Textilien erinnernden Wandmodulen filtern sie das Tageslicht. „Licht ist elementar, es zeigt die Anwesenheit von Energie“, erklärt Kéré die Licht- und Schattenspiele, die er an und mit dem Gebäude im Zusammenklang mit den wechselnden Tageszeiten und Wetterbedingungen inszeniert.

Wenn es dunkel ist, leuchtet die Dachunterseite signalhaft in die Ferne; eine weitere Reminsizenz an Kérés Heimat, wo das Licht den Weg zu den Menschen zeigt. Auch für das satte Indigo-Blau der Wandmodule, deren angenehme Haptik man immer wieder streicheln möchte, gibt es eine Herleitung: In seinem Dorf tragen junge Männer zu besonderen Gelegenheiten blaue Kleidung. Mit seinem Pavillon sieht er sich als Gast in London, „also zeige ich mich in meinen besten Kleidern.“

Gerne hätte Kéré – wie so oft bei seinen Projekten – lokale Auszubildende beschäftigt. Das wäre zu zeitintensiv geworden. Zwischen Beauftragung und Eröffnung lagen gerade sechs Monate. „Die Partizipation wird jetzt geschehen, wenn die Besucher kommen und sich das Gebäude aneignen.“

Wenn man bereits mehrere Mitglieder der Pavillon-Familie kennengelernt hat, bleibt es nicht ganz aus, Vergleiche zu ziehen – und da tritt der Neuzugang von 2017 ein herausforderndes Erbe an. Er teilt den Grundgedanken der meisten Vorgänger, der Stadtparkoase einen inspirierenden Aufenthaltsort hinzuzufügen und sensibel auf die umgebende Kulturlandschaft zu reagieren. Und er wird es auch schaffen, eine eigenständige Erinnerung zu hinterlassen, spätestens wenn der Regen einsetzt. Eines ist schon jetzt deutlich: Die Realität überholt die Vorabbilder. Der sympathische Pavillon heißt einen willkommen. Er wird als Treffpunkt, als einfacher Schutz, aber auch als „dramatische Arena“ bestens funktionieren und hoffentlich nach seinem Londoner Gastspiel einen angemessenen Ort finden, vielleicht als kleines Museum in Burkina Faso?

Fotos: Iwan Baan, Jim Stephenson, Thomas Spier


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