Seit dem Jahr 2000 verfolgt die Leiterin der Londoner Serpentine Gallery, Julia Peyton-Jones, ein Motiv: Die Gegenüberstellung einer beständigen, steinernen Architektur mit dem gebauten Experiment, das nur temporär besteht. Große Namen hat Peyton-Jones seitdem in die Kensington Gardens geholt, um in unmittelbarer Nachbarschaft zum klassizistischen Backsteingebäude der Galerie architektonische Gedankenspiele der Gegenwart aufzustellen, darunter Zaha Hadid (2000), Oscar Niemeyer (2003) oder Sou Fujimoto (2013). Auf Bjarke Ingels von BIG lasten dieses Mal besonders viele Erwartungen, denn mit der Eröffnung seines Serpentine Pavilions, die am Freitag stattfindet, wird Julia Peyton-Jones aus dem Amt scheiden.
Bislang waren nur die atmosphärisch getönten Renderings von Bjarke Ingels’ Entwurf bekannt. Darauf sah das Bauwerk eher nach Iglo als nach einem Sommerpavillon für einen Park aus. Doch gebaut ist der Eindruck anders: 1802 Fiberglasmodule, alle gleich groß, hat Ingels zu einer 14 Meter hohen Struktur gestapelt. An den Stirnseiten offen, bilden die Module je nach Blickwinkel eine mal transparente, mal intransparente Mauer, die ein inneres Kabinett umschließt und nach oben spitz zuläuft. Die Fiberglaswände öffnen sich an zwei Seiten wie ein Reißverschluss, was Bjarke Ingels so schön als „unzipping of the wall“ bezeichnet – ein Satz, der gewiss häufig in den Medien zitiert werden wird. Bei Sonne soll der Pavillon als kühlender Unterschlupf dienen, der in seiner Durchlässigkeit unterschiedliche Blicke auf den Park und die Galerie ermöglicht. Da aber in London nicht immer die Sonne scheint, wurden ganz diskret 200 Plexiglasscheiben an der Decke angebracht.
Julia Peyton-Jones hat sich für ihr Amtsende noch ein weiteres Programm überlegt: Vier Summer Houses sollen die Architektur des klassizistischen Queen Caroline’s Temple reflektieren, der ebenfalls in den Kensington Gardens steht. Die vier Teilnehmer Kunlé Adeyemi, Barkow Leibinger, Asif Khan und Yona Friedman haben sich jedoch anders als Bjarke Ingels auf Sonnenschein eingestellt.
Kunlé Adeyemi präsentiert eine Art Bauklotz-Dekonstruktivismus mit Sandsteinen und Kunstledersitzen. Elemente des 1734 von William Kent entworfenen Originalpavillons hat er übernommen und schlicht längs gekippt. Barkow Leibinger haben eine luftige Struktur aus Sperrholzplatten geschaffen. Wie bei einem Thonet-Stuhl ist das Holz gebogen und gewunden und von den Architekten als schwebende Wolke zu einem Sonnendach erhöht. Ganz leicht und vielmehr Skulptur als Architektur sind schließlich Asif Khans sanft gewellte Reihe getünchter Holzstäbe und Yona Friedmans Stapelung von Stahlrohrwürfeln. Hier geht es wirklich nur noch um das sinnliche Erfassen von Raum. Damit bringen Khans und Friedmans Beiträge auf die Spitze, was bei all diesen sommerleichten Versuchen in den Kensington Gardens zu vernehmen ist: Vorsichtige Architekturexperimente stehen vor der starken Position oder einem vermittelnden Andersdenken. (sj)
Vom 10. Juni bis zum 9. Oktober 2016 in den Londoner Kensington Gardens
Zum Thema:
www.serpentinegalleries.org
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joerg stephan | 11.06.2016 11:02 UhrIglo?
...aus Fischstäbchen?