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17.05.2022
Wir sitzen ja in keinem Elfenbeinturm
Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt im Gespräch
Petra Kahlfeldts Ernennung zur Senatsbaudirektorin von Berlin Anfang des Jahres hat für Kontroversen gesorgt. Mit BauNetz sprach sie über ihre Pläne.
Interview: Friederike Meyer und Gregor Harbusch
Frau Kahlfeldt, Sie sind seit vier Monaten Senatsbaudirektorin von Berlin. Haben Sie es schon mal einen Moment lang bereut, das Amt übernommen zu haben?
Nein. Ich habe viele Jahre als Architektin in der Stadt gearbeitet und hatte bei Bauvorhaben mehrfach Berührung mit der Senatsbauverwaltung. Mir war klar, dass es eine Herausforderung wird.
Sie haben die Seiten gewechselt. Nach 35 Jahren als praktizierende Architektin mit eigenem Büro sind Sie nun Staatssekretärin. Was verstehen Sie unter innovativem Verwaltungshandeln?
Noch bin ich nicht soweit, irgendwelche Reformvorschläge zu machen. Was ich aber aus dem Perspektivwechsel sagen kann: Früher wunderte ich mich immer, warum hier so viele Menschen arbeiten. Erst jetzt wird mir bewusst, wie viel notwendige und komplexe Projekt- und Steuerungsarbeit gemacht wird. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung muss viele Fäden auf vielen Ebenen zusammenbringen und koordinieren. Dazu braucht man gut ausgebildete, strukturierte und motivierte Kolleginnen und Kollegen. Die treffe ich hier an. Ich konnte mich bereits überzeugen, dass sie sehr gute Arbeit leisten.
Wie beschreiben Sie Ihren Gestaltungsspielraum als Senatsbaudirektorin?
In der Stadtentwicklung werden Prozesse für sehr lange Zeiträume aufgesetzt, die man dann steuert und versucht voranzubringen. Viele Entscheidungen sind schon vor mir getroffen worden. Entwerfen beginnt in einem großen Maßstab und finalisiert sich in den Details. In diesem Sinne bin ich Teil der Zielverfolgung. Verwaltung heißt, Verantwortung zu übernehmen. Dabei geht es weniger um Entscheidungen meinerseits, sondern um einen Konsens und Lösungswege, die für alle tragbar sind. Das macht Spaß, ich lerne viel von der Sachkompetenz der anderen. Zum Beispiel beim Jahnsportpark.
… der zum Inklusionssportpark umgebaut werden soll. Ihre Behörde hat Ende April den Wettbewerb zum Neubau eines Stadions ausgelobt. Eine Bürgerinitiative hatte sich nicht zuletzt aus ökologischen Gründen für einen Umbau des Bestands engagiert…
Der Prozess lief schon zehn Jahre. Es war keine Entscheidung meinerseits, zu sagen, das wird ein Stadionneubau. Ich kenne die Interessen der Bürgerinitiative und des Bezirks. Aber wenn man einen Inklusionssportpark will, dann muss man das Ziel kontinuierlich verfolgen. Wir wollen aber trotzdem auch ein Stadion, das seine Identität und Geschichte zeigt.
Was genau ist das Ziel, das Sie mitverfolgen? Die Weichenstellungen Ihrer Vorgängerin oder der aktuell gültige Koalitionsvertrag?
Der Koalitionsvertrag ist die Grundlage des gemeinsamen Handelns. Wenn darin etwas grundsätzlich anderes stehen würde als das, was bisher als Ziel verfolgt wurde, käme ich in Erklärungsnot. Aber das ist nicht der Fall. Die Senatsbaudirektion kümmert sich um Bereiche im gesamtstädtischen Interesse, so wie es innerhalb der Berliner Verwaltungen klar geregelt ist. Das sind die beiden Zentren Ost und West, vom Molkenmarkt über Alexanderplatz und Haus der Statistik, von Hertzallee über Hardenbergplatz zur SIGNA am Kurfürstendamm. Am Alexanderplatz zum Beispiel kommt der B-Plan jetzt in die Umsetzung, nachdem dort 20 Jahre nichts passierte.
Im Laufe der Legislaturperiode soll laut Koalitionsvertrag das Hochhausleitbild evaluiert werden. Was ist da Ihrerseits zu erwarten?
Das Hochhausleitbild wurde unter Frau Lüscher aufgesetzt und 2020 vom Berliner Senat beschlossen. Es weist bewusst keine Räume aus, sondern definiert Kriterien für die Standorte, die hochhausverträglich sind. Evaluation heißt, wir haben einen Überprüfungsauftrag. Die Kriterien zu evaluieren finde ich sehr konstruktiv. Berlin wächst und wird weiterhin wachsen, da ist nachhaltige Planung und Umsetzung notwendig. Das ist eine echte Chance für die Stadt.
Der Koalitionsvertrag formuliert das Ziel, 200.000 neue Wohnungen bis 2030 zu bauen. Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin Franziska Giffey (SPD) hat das Thema zur Chefinnensache erklärt. Was wollen Sie beitragen?
Wir müssen beides tun. Neue Wohnquartiere bauen und mit dem Bestand arbeiten. Beides zusammen wird dazu führen, das formulierte Ziel zu erreichen. Der 100. Geburtstag von Hardt-Waltherr Hämer kürzlich war eine gute Gelegenheit, sich die Konzepte der Stadterneuerung der 1980er Jahre nochmals anzuschauen. Ich will mit der Textur der Stadt arbeiten, die Gebiete, in denen eine Schieflage herrscht, umbauen.
Wo wollen Sie im Sinne des sozialen und ökologischen Stadtumbaus Schwerpunkte setzen?
Wir müssen auf die Freiräume und die kulturellen und sozialen Einrichtungen schauen. Im Wohnen kann kein Gewerbe sein, hat man früher gesagt. Heute wissen wir, dass das falsch war. Zu einem lebenswerten Quartier gehört für mich Funktionsmischung und eine gute soziale Mischung. Ich habe mir zum Beispiel gerade die Rollbergsiedlung in Neukölln angesehen. Sie ist sozial problematisch, hat aber architektonisch wahnsinnige Qualitäten, vor allem die Gestaltung der öffentlichen Räume. Mir hat gefallen, wie die Kinder dort gespielt und die Jungs gebolzt haben. Aber es gibt kaum Einkaufsmöglichkeiten in der Rollbergsiedlung. Die Programmierung der Räume stimmt nicht. Man hat dort mit Jugendeinrichtungen schon nachgearbeitet und vieles richtig gemacht. Aber es gibt noch einiges zu tun.
Die Koalition will mit Brandenburg über eine IBA diskutieren, die zur Plattform für sozial und ökologisch vorbildliche Quartiersentwicklung, innovatives Verwaltungshandeln sowie kooperative Stadt- und Regionalplanung wird. Wie geht das voran?
Die IBA steht im Koalitionsvertrag, und ich habe erste Gespräche mit der Staatskanzlei und dem Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung in Brandenburg geführt. Ich finde die regionale Verzahnung zwischen Berlin und Brandenburg wahnsinnig wichtig. Zugleich bin ich der Ansicht, dass eine IBA in Bezug auf ihre lokale Ausbreitung und thematisch sehr fokussiert sein muss.
Lassen Sie uns den Blick weiten. In welche europäischen Städte blicken Sie derzeit, welche planungspolitischen Entwicklungen sehen Sie als Vorbild?
Früher hat man von einem interessanten Projekt gelesen und ist dann losgefahren, um es sich anzusehen. Durch die Pandemie fehlen mir zwei Jahre Reiseerfahrungen. Hamburg, München und die Transformationsareale im Ruhrgebiet wie zum Beispiel die Zeche Zollverein würde ich hier nennen. Sie haben mit Berlin am meisten zu tun. Mit Hamburg und dem Sprung über die Elbe habe ich mich, auch durch meine dortige Tätigkeit an der Universität, am meisten auseinandergesetzt. Da würde es sich lohnen, die Ergebnisse für Berlin zu bewerten. Die Holzbausiedlung im Münchner Prinz-Eugen-Park finde ich ganz toll, sie könnte Vorbild für das Schumacher-Quartier in Tegel sein. Ich schaue mir in Städten vor allem die Transformationsquartiere an, welche Maßstäblichkeit, welche Nutzungen sind umgesetzt worden. Ich würde gern mehr Stadtumbau im Bestand in einem größeren Maßstab studieren.
Ihre Vorgängerin Regula Lüscher hat sich um die Debatten- und Prozesskultur in der Stadt bemüht und dabei einiges verändert. Inwiefern wollen Sie daran anschließen?
Die etablierte Debatten- und Prozesskultur ist immer noch da. Das Haus der Statistik ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Es ist unglaublich, wie die Senatsverwaltung, der Bezirk, die BIM, die WMB und die Koop 5 dort zusammenarbeiten. Ich erlebe die Beteiligten unheimlich kreativ und kultiviert aufgestellt. Es war ein langer Prozess, das Haus der Statistik zu etablieren, und es ist ein Verdienst dieser Verwaltung. Die Fortführung der Debatten- und Prozesskultur ist auch Teil der aktuellen Regierungspolitik .
Ein offener Brief von Seiten einiger junger Berliner Architekt*innen rief vorvergangene Woche zum Boykott einer Veranstaltung auf, welche der Projektentwickler SIGNA in seinem Projektraum POP Kudamm am Kurfürstendamm geplant hat. Können Sie das verstehen?
Wir fragen ja gar nicht mehr nach den Möglichkeiten, die diese Veranstaltungen bieten, sondern nur noch danach, wer dieser Bauherr ist. Die Bauwelt veröffentlichte einen Text zu SIGNAs ReUse-Planungen für den Kaufhausumbau am Hermannplatz in Neukölln unter dem Titel „Greenwashing“. Ich war Mitglied der Jury des Wettbewerbs und habe ihn als ein sehr professionell durchgeführtes Verfahren wahrgenommen – mit einem richtig guten Ergebnis. Ich nehme das Engagement für den Hermannplatz und auch für POP Kudamm wahr und finde den Diskurs dazu unterstützenswert und wichtig.
Sollte die Zukunft der Stadt nicht eher an einem öffentlichen Ort debattiert werden?
Seit meinem ersten Tag als Senatsbaudirektorin sage ich, dass wir einen Ort brauchen, an dem wir mit der sehr emanzipierten, gut unterrichteten Stadtgesellschaft debattieren können. Ich dachte, ich könnte ihn im Haus der Statistik etablieren, aber dort ist nun erstmal Baustelle. Wir sind mit großer Ernsthaftigkeit dabei, Räume zu suchen. Die BIM, die WBM, der Baustadtrat von Mitte, alle sind „angespitzt“. Wir wollen einen zentrumsnahen Ort in Mitte. Wir sitzen ja nicht in einem Elfenbeinturm.
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