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20.05.2014

Fondamente Nove #04

Sehnsucht nach der frühen Bonner Republik


Der Kanzler-Bungalow von Sep Ruf steht im Mittelpunkt des deutschen Beitrags für die Biennale in Venedig. Eingeweiht 1964, ist der Bungalow auch exemplarisch für die Atmosphäre der frühen Bonner Republik. Doch was prägte eigentlich jene Zeit? Wir werfen einen Blick zurück auf Trümmer und Wirtschaftswunder, Biederkeit und Aufbruchsstimmung, gediegene Moderne und Gelsenkirchener Barock. Und stellen fest, noch immer lösen die Bilder Sehnsucht aus – nach der Dynamik und Zuversicht, die damals anscheinend herrschte.

Trotz des Schreckens und Elends, das Deutschland gleichermaßen verursacht wie erfahren hatte, gingen die Menschen schnell zum Alltag über. Doch was hieß schon Alltag, wenn noch zahllose Menschen in Ruinen lebten und Nahrungsmittel noch lange knapp waren? Dank der Arbeit des Parlamentarischen Rats bekam der Westen Deutschlands 1949 schließlich eine eigene Verfassung, und der Aufschwung nahm, unterstützt von Währungsreform und Marshallplan, seinen Lauf. Die Fotografin Erna Wagner-Hehmke dokumentierte diese Versammlung in der Aula der Pädagogischen Akademie. Auf ihren schwarz-weißen Bildern, die das Bonner Haus der Geschichte 2008 in einer großen Ausstellung zeigte, sieht man ernste Menschen im Ambiente der Vorkriegsmoderne, die sich der historischen Bedeutung des Moments wohl bewusst zu sein scheinen.

Nur wenige Jahre später ist dann aber alles schon quietschbunt, drängen Käfer, Quelle-Katalog und Nierentisch ins Bild, und die Menschen sehnen sich nach Bungalow und Hollywood-Schaukel. „Aufbruch. Umbruch. Stilbruch?“ fragt aktuell eine Ausstellung im Museum August Kestner in Hannover, die sich mit dem Design dieser Zeit beschäftigt. Und vergleicht man diese Bilder mit jenen des Parlamentarischen Rats, ist man fast ein wenig bestürzt über die brave Leichtsinnigkeit, die sich da verbreitet zu haben scheint. Trotz der verbliebenen Ruinen: Der Krieg ist vergessen, und man lebt einfach so drauf los, wie aktuell auch in Straubing zu sehen ist, wo die Ausstellung „Wiederaufbau und Wirtschaftswunder“ die damaligen Entwicklungen in Bayern zeigt. Einschließlich der Halbstarken auf Rollern und dem Urlaub in Rimini.

Doch dieser Eindruck mag auch wieder täuschen, lebten doch Viele nach dem einen Motto, das wie für diese Zeit geschaffen war: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Denn Arbeit, das bedeutete damals meist noch Schichtbetrieb in der Fabrik, wie 2010 wiederum das Haus der Geschichte deutlich machte. Der „Wandel der Arbeitswelt nach 1945“ wurde untersucht, und es zeigte sich, dass schon wenige Jahre später mit der Globalisierung der Textilindustrie die Verlagerung der Jobs in den Dienstleistungs- und Wissenssektor begann – auch das lässt die Bilder der Fünfziger wie aus einer fernen Zeit wirken.

Im Vergleich dazu wirken die Sechziger schon viel näher an der Gegenwart, gerade was Werbung und Ästhetik betrifft. Wo die Moderne der Nachkriegszeit noch etwas naiv und unbedarft von einer besseren Welt zu künden schien, wurden jetzt die Formen und Materialien mit anderen Bedeutungen aufgeladen. Neben Fortschritt und Vernunft ging es jetzt auch um Erfolg und Selbstverwirklichung. Edler Naturstein, dunkles Holz und erlesene Tapeten wurden nun zum hedonistischen Ideal – zusammen mit Whisky aus schweren Gläsern und „Erfolgscigaretten“ aus Amerika.

Hier weicht nun endgültig die Dynamik und Zuversicht der Nachkriegszeit, wie sie auch die Fotografen Josef Heinrich Darchinger und Herbert Maschke zeigten, dem routinierten Alltag einer Konsumgesellschaft, die seither unser Leben bestimmt. Und wenn heute die Schaufenster voller Vintage-Möbel aussehen wie anno 1964, dann lässt das vermuten, dass wir uns ein wenig nach den unbeschwerten Jahren der frühen Bonner Republik sehnen.

Stephan Becker


Architekturbiennale 2014: BauNetz Fondamente Nove
Das ganze Land ein Bungalow: Im Interview sprechen Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis über nationale Repräsentation, Luise Rellensmann erklärt, warum der Bungalow ein Phantom bleibt, und Benedikt Hotze, warum deutsche Pavillons heute keine klare Architektur mehr sind, sondern pures Entertainment. Bis Juni widmen wir uns mit „Fondamente Nove“ diesen und anderen Aspekten zum Biennale-Thema „Bungalow Germania“.

BauNetz ist Medienpartner des deutschen Beitrags in Venedig. Unsere
Berichterstattung zur Biennale 2014 wird unterstützt von GROHE.


Zum Thema:


Josef Heinrich Darchinger. Wirtschaftswunder, TASCHEN Verlag 2012

Kartell. The Culture of Plastics, TASCHEN Verlag 2012

Wirtschaftswunder West-Berlin: Fotografien von Herbert Maschke, Nicolai Verlag 2012

Ausstellungen:

Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, Wanderausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte, noch bis zum 3. August 2014

Aufbruch. Umbruch. Stilbruch?, Sonderausstellung zum Design der 1950er und 1960er Jahre, noch bis zum 3. August 2014 im Museum August Kestner in Hannover

Beobachtungen: Der Parlamentarische Rat 1948/49. Fotografien von Erna Wagner-Hehmke, Online-Ausstellung des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn


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