Bis 2008 war die in die Ostsee ragende Halbinsel Jätkäsaari für die Öffentlichkeit verschlossen, lag auf dem Areal doch der Industriehafen von Helsinki. Aber seit östlich der finnischen Hauptstadt ein neuer Hafen eröffnet wurde, entwickelt sich hier ein neuer Stadtteil. Ende der 2020er Jahre sollen in Jätkäsaari 21.000 Menschen leben, 6.000 Arbeitsplätze sind geplant, es ist damit eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Helsinkis. Fast sieben Millionen Menschen reisen schon jetzt jedes Jahr von hier aus per Fähre nach Tallinn. Das Areal liegt ideal: südwestlich der Altstadt, nur gut zwei Kilometer sind es bis ins Zentrum.
Vom Hafen ist heute bis auf wenige Lagerhäuser nichts mehr übrig. Dafür zieht alltägliches Leben nach Jätkäsaari und mit ihm eine neue Schule. Gegenüber des Fährterminals ist der blockartige Neubau schon von weitem sichtbar und fällt nicht zuletzt dank seiner hellen Betonfassade ins Auge. Entworfen hat die Schule, die Platz für 800 Kinder von der 1. bis zur 9. Klasse bietet, das junge Büro AOR Architects (Helsinki).
Das finnische Trio Erkko Aarti, Arto Ollila und Mikki Ristola hatte sich 2015 – zu diesem Zeitpunkt noch als Studenten – an dem internationalen Architekturwettbewerb beteiligt. Am Ende wurde ihr Entwurf aus 137 Einsendungen zum Sieger gewählt, es folgte die Bürogründung. Vergangenen August konnte der Bau, der nicht nur Schule, sondern auch Stadtteilzentrum ist, eingeweiht werden. 33 Millionen Euro ließ sich die Stadt den Neubau kosten, eines der wenigen öffentlichen Gebäude in Jätkäsaari.
Zudem ist es eines der ersten Schulgebäude, das in Übereinstimmung mit dem 2016 eingeführten, nationalen Lehrplan Finnlands entworfen wurde. Dabei setzt man auf fächerübergreifendes Lernen sowie neue Lehr- und Lernmethoden, die auch andere Raumprogramme erforderlich machen. Gefordert waren offene, flexible Räume, die Kinder zum Lernen ermutigen und gemeinsames Arbeiten auch außerhalb der Klassenzimmer möglich machen. Entstanden ist das 8.000 Quadratmeter große Gebäude in Abstimmung mit der Stadt, den Pädagogen und in Workshops mit den zukünftigen Schüler*innen. Ziel war es, nicht nur eine gute Lernumgebung zu schaffen, sondern auch ein nachhaltiges und leicht zu wartendes Gebäude mit einer Lebensdauer von mindestens 100 Jahren.
Man entschied sich für eine kompakte Form, die im rauen finnischen Klima am energieeffizientesten sei, wie die Architekten schreiben – nahe am Null-Energie-Gebäude. Die faserverstärkte Betonfassade ist weniger porös als normaler Beton und damit besonders geeignet für die feuchten und windigen Bedingungen am Meer. Das Erdgeschoss ist mit doppelt gebrannten Ziegeln verkleidet, die sich im Inneren fortsetzen, die Böden sind aus finnischem Granit. Organisiert ist das Erdgeschoss wie ein städtischer Raum mit Straßen und Plätzen, das Zentrum bildet ein dreigeschossiges Atrium als Kantine, Auditorium, Aula und Veranstaltungsort. Die hier angelagerten Werkstätten, Kunstateliers, Musik- und Tanzräume öffnen sich mit großen Fenstern zur Stadt und dienen abends lokalen Vereinen.
Flure sind in dieser Schule auf ein Minimum reduziert. Und selbst die wenigen, die es gibt, dienen mit gepolsterten Nischen und Plätzen für kleine Gruppen als Lernorte. In den oberen Etagen liegen die unterschiedlich großen Lernräume, die zu Einheiten zuammengefasst sind. Eine dieser Einheiten ist eher traditionell aufgebaut, mit durch Glaswände abgetrennten Klassenzimmern, vier haben offene und geschlossene Räume, während die experimentellste Einheit überhaupt keine Trennwände hat. Bei Bedarf kann der Raum durch akustische Textilvorhänge auf verschiedene Weise unterteilt werden. Dabei sind, sollten sich die Bedürfnisse einmal ändern, alle Räume und Installationen auf leichte Anpassungsfähigkeit ausgelegt. Bei aller Fortschrittlichkeit wünschten sich die Kinder auch ein traditionelles finnisches Element: eine Sauna. Realisiert wurde sie symbolisch in Form einer Holzkabine zum Herumlümmeln. (kat)
Fotos: Kuvatoimisto Kuvio, Pyry Kantonen, AOR Architects
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STPH | 09.04.2020 11:24 Uhr...
die architektonische Situation mit der Innenstadt, dem kompakten Baukörper und dem Fassadenornament erinnert mich an das Projekt Bauakademie, nur das hier die Kruste selbstgewählt ist. Hier wie dort liegt der Ausweg in der möglichen Öffnung nach oben. Eine Lichtkaskade von oben herein in all die offenen Zonen, ein Lichttrichter. Vielleicht noch mit Gitteraustritten ins Freie darüber. Licht macht wach.
Was würde Aalto zu dem Gebäude sagen?