Gleich zu Beginn des Jahres feiert das Brighton College in Englands bekanntem Strandbad einen architektonischen Neuzugang. Mit der School of Science and Sport haben OMA einen Hybrid entwickelt, der Sporteinrichtungen und naturwissenschaftliche Unterrichtsräume eng verzahnt. Das Projekt unter Federführung von OMA-Partnerin Ellen van Loon ist das erste Sportgebäude und zugleich der erste große Bau für eine Oberschule, den die Rotterdamer realisieren konnten. BauNetz war bei der Eröffnung am 9. Januar dabei.
Von Diana Artus
Die schuleigene Swing Band schmettert die Titelmelodie aus dem Film „Rocky“ durch das gut gefüllte Atrium der School of Science and Sport, während ein dazu gezeigtes Video sie aus der Vogelperspektive umrundet. Schulleiter Richard Cairns ist bei der Begrüßung der geladenen Gäste sichtlich stolz auf das Gebäude, das wie ein „Raumschiff vom Kontinent“ auf dem College-Gelände gelandet sei und nun neue Maßstäbe in Sachen Schulbau auf der Insel setze. Dann enthüllt Ehrengast Sir Nicholas Soames, Politiker der britischen Konservativen und Enkel von Winston Churchill, die Tafel mit der Bauinschrift und den Namen der zahlreichen privaten Spender. Der Lehrbetrieb kann beginnen.
Kein Zweifel, dieses Projekt ist ein Meilenstein in der Geschichte der Schule und mit einem Budget von 55 Millionen Pfund – davon rund 37 Millionen reine Baukosten – deren größte Investition seit ihrer Gründung im Jahr 1845. Das Brighton College ist heute eine der erfolgreichsten Privatschulen Englands, an der gegenwärtig 1.114 Kinder und Jugendliche lernen – Tendenz steigend. Immer wieder sind räumliche Erweiterungen auf dem weitläufigen Campus notwendig. So wurden allein zwischen 2008 und 2017 zehn neue Bauten realisiert, allesamt entworfen von britischen Architekturbüros.
Bruch mit Harry Potter
Zum Wettbewerb für die School of Science and Sport 2013 wurde auf internationaler Ebene geladen. Das Konzept von OMA in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Skelley and Couch (London) und den Landschaftsarchitekten Bradley-Hole Schoenaich (Richmond) für die renommierte Privatschule habe durch die starke visuelle Verbindung von außen und innen und zwischen den beiden Fachbereichen überzeugt, erklärt Richard Cairns. Heißt: viel Glas, offene Treppenhäuser mit frei bespielbaren Flächen, ineinanderfließende Geschosse, Nutzungsdurchmischung. „Das ist Harry Potters Welt“, erinnert sich Ellen van Loon an ihre Gedanken beim ersten Besuch des neogotisch geprägten Schulgeländes: „Wie kann ein OMA-Gebäude hier hineinpassen?“ Der neue Baukörper bricht denn auch ganz bewusst mit der Mauerwerk-Optik und den räumlichen Strukturen des College. Schon allein aufgrund seiner schieren Größe von 7.425 Quadratmetern BGF setzt er sich deutlich vom kleinteiligen Bestand ab.
Ganz ohne Bezug zur Umgebung ist der dunkle Riegel, der sich entlang eines riesigen Rugby- und Cricketfeldes erstreckt, aber nicht. Bei der Fassadengestaltung ließen sich OMA vom Rhythmus der englischen Reihenhäuser mit ihren großen Panoramafenstern inspirieren. Während die Sporteinrichtungen – eine Turnhalle, eine Indoor-Laufbahn, ein 25-Meter-Pool, ein Fitness- sowie ein Tanzstudio – im Unter- und Erdgeschoss mit direkter Verbindung zur Rasenfläche liegen, überspannen die naturwissenschaftlichen Räume das Ganze wie eine stufenförmige Brücke. Weitere Extras: ein kleiner Kinosaal und ein Gewächshaus. Absolutes Highlight ist jedoch das begehbare Dach. In der luftigen Höhe gibt es eine zweite Laufbahn und viel Platz für Unterricht und Pausen im Freien. Eine Sache ist Ellen van Loon besonders wichtig: Von hier aus kann man auf das naheliegende Meer schauen. Leider nicht am Eröffnungstag – das berühmt-berüchtigte britische Wetter macht mit Niesel und Nebel einen Strich durch die Rechnung.
Durchblick und Freiraum...
Im Inneren gibt es dafür umso mehr zu sehen. Ähnlich wie das 2018 in Kopenhagen realisierte BLOX ist der Bau ein Experiment in Transparenz und Offenheit: Wer hier über Korridore und breite Treppen schlendert, kann in sämtliche Klassen- und Sporträume blicken oder mit den auf der Leichtathletikbahn Trainierenden um die Wette laufen. Verspiegelte Wände und Spinde lassen selbst die gegenüberliegende Reihenhauskette immer gegenwärtig sein. Kann man sich in einem derartigen Kaleidoskop noch auf den Unterricht konzentrieren? „Klar“, sagt Ellen van Loon, die als Schülerin selbst ein Internat besuchte und das dort erlebte Konzept geschlossener Klassenzimmer, fehlender Freiräume und enger Flure als veraltet und unproduktiv für Kreativität und Entdeckergeist betrachtet. In der gegenwärtigen Welt Sozialer Medien und permanenter Vernetzung habe die junge Generation einen anderen Umgang mit Gleichzeitigkeit, Zugänglichkeit und Öffentlichkeit, meint sie – und darauf solle ein zeitgenössisches Schulgebäude eingehen.
...und die Rückseite
Umrundet man das College von außen, zeigt sich allerdings: Ganz so offen ist der Bau dann doch nicht. Zum Spielfeld hin fast voll verglast und mit Auskragungen und Abstufungen lebendig gestaltet, wirkt die Straßenfront wie eine veritable Rückseite. Zwar besteht auch diese Fassade aus viel Glas, allerdings größtenteils Profilglas – lichtdurchlässig, aber blickdicht und mit industrieller Anmutung. Es sieht so aus, als suche der Baukörper hier eher die optische Nähe zu einigen Werkstatthallen, die neben Wohnhäusern das Straßenbild prägen. Dementsprechend seien die bisherigen Reaktionen aus der Nachbarschaft gespalten, merkt Schulleiter Cairns an: Während sich die Anwohner auf der Ostseite am Anblick des neuen Gebäudes erfreuen, ist man auf der Westseite etwas weniger angetan.
Was die künftige Nutzung des Neubaus betrifft, so kündigt das College auf seiner Webseite an, die Einrichtungen im Rahmen bestimmter Veranstaltungen auch anderen lokalen Schulen zugänglich machen zu wollen. Das scheint durchaus angebracht, denn das letzte Bild, das in Erinnerung bleibt, ist folgendes: Auf einem abschließenden Spaziergang durch Brighton, in einem anderen Viertel, sticht ein großes Banner an einem Schulzaun ins Auge. „SOS“, ist darauf in großen Lettern zu lesen: „Save our Schools“ – die staatlichen Schulen der Stadt kämpfen gegen massive Mittelkürzungen vonseiten der Regierung.
Fotos: Laurian Ghinitoiu
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STPH | 14.01.2020 13:39 Uhr...
der Gruppe wird kein Eigenraum mehr zugestanden. Alles ist Teil des Großraums dem der Einzelne gegenübersteht, des imaginären Kollektivs.
Der nackte Sportplatz als Blick und Maßstab.
Nur gut das es noch die kleinen englischen Häuser drum herum gibt, als Gegenentwurf.