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01.11.2017

Reformationsjahr in Wittenberg

Schlosssanierung von Bruno Fioretti Marquez


Von Friederike Meyer

Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und weitere Politker waren gekommen. Mit einem Festgottesdienst in der Wittenberger Schlosskirche wurde gestern, am 31. Oktober, an Luthers Thesenanschlag vor 500 Jahren erinnert. Und das angrenzende, frisch sanierte Schloss wurde übergeben. Bruno Fioretti Marquez (Berlin) haben darin Arbeitsräume für das Predigerseminar, das Besucherzentrum und die reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek mit Magazin untergebracht.

Das über 800 Jahre alte Schloss war Teil der Befestigungsanlage, dem Reformator Luther diente es seinerzeit als Schutzraum zur Verteidigung seiner Ideen. Als es Mitte des 19. Jahrhunderts zur Kaserne ausgebaut wurde, entstand über dem zweiten Obergeschoss ein mit Erdreich überdecktes Tonnengewölbe, das Brandbomben stand halten sollte. Kein Problem also für die Berliner Architekten, ein weiteres Geschoss – in Leichtbeton – oben aufzusetzen. Die größere Herausforderung war die barrierefreie Erschließung. An beiden Enden des Schlosses musste für Treppenhäuser und Aufzug massiv in die alte Bausubstanz eingegriffen werden. Die Schnittkanten blieben sichtbar und offenbaren so die verschiedenen Bauepochen.

Die neuen Arbeitsräume für das Predigerseminar auf dem Dach umfassen den größten Teil der Schlosssanierung. Vom Schlosshof aus sind sie jedoch kaum zu sehen, da sie größtenteils hinter den alten Außenmauern liegen. Wie einzelne Zellen im klösterlicher Dachgarten reihen sie sich entlang eines Verbindungsganges. Große neue Fenster öffnen den Blick zwischendrin auf Dachgärten, die an das mit Erde bedeckte alte Dachgeschoss erinnern. Durch die dicklaibigen Fenster der alten Mauern sind die Stadt und der Schlosshof zu sehen. Kalkfeinputz, Sumpfkalkputz und Marmorino sowie Terrazzo im Erdgeschoss und geölte Eichenholzdielen prägen die Stimmung in den Räumen. Den Architekten war ein handwerklicher Charakter wichtig, der Spuren der Bearbeitung offenbart. Das wird angemessen deutlich und passt zur Substanz und den künftigen Nutzern.

Wittenberger Rochade


Das Evangelische Predigerseminar in Wittenberg wurde vor 200 Jahren gegründet. Hier lassen vier Landeskirchen ihre Vikare und Vikarinnen ausbilden, derzeit sind es um die 70 pro Jahrgang. Dass die Institution im Schloss neue Räume bekam, gründet auf einer Rochade. Ende 2009 hatten sich das Land Sachsen-Anhalt, die Stadt, die Stiftung Luthergedenkstätten und die evangelische Kirche nämlich darauf geeinigt, die Einrichtungen von Kirche und Stiftung in Wittenberg jeweils an einem Ort zu konzentrieren.

Ursprünglich fand die Ausbildung der angehenden Pfarrer im Augusteum statt, den Räumen der alten Universität am östlichen Ende der Altstadt. Das Augusteum wurde zum neuen Museums- und Ausstellungshaus der Stiftung Luthergedenkstätten umgebaut und um einen Eingangsbau für Shop, Garderobe und Sanitäranlagen ergänzt. Nun ist alles am passenden Ort. Das Predigerseminar rückte zu seiner Ausbildungskirche im Schloss. Neben den Räumen von Bruno Fioretti Marquez erhielt es dort einen Neubau von Junk & Reich (Weimar), der letztes Jahr eröffnet wurde. Die Stiftung wiederum bekam im Augusteum zusätzliche Ausstellungsflächen.

Vom Nabel der Welt zur sanierten Gedenkstätte


Vor 500 Jahren war Wittenberg ein Nabel der Welt. In der 1502 gegründeten Universität lehrten Martin Luther und Philipp Melanchthon, Luthers angeschlagene Thesen machten die Stadt zum „Rom der Protestanten“. Heute kämpft die 50.000-Einwohner-Stadt mit knapp zehn Prozent Arbeitslosen und ist zugleich stolz auf vier Bauten, die seit 1996 auf der UNESCO-Welterbeliste stehen.

Da ist zum einen die Stadtkirche St. Marien mit dem Reformationsaltar, seit 2015 von Dr. Krekeler Generalplaner aus Brandenburg restauriert, zum anderen die Schlosskirche mit der Thesentür, die das Hallenser Büro cuboidoo Architekten in der Fassung von 1883 bis 1892 kürzlich instand gesetzt hat. Auch das von dietzsch & weber (Halle/Saale) 2013 erweiterte Melanchthonhaus  und das Lutherhaus gehören dazu. Hier haben Pitz & Hoh (Berlin) bereits im Jahr 2003 eine Eingangshalle ergänzt. BHBVT (Berlin) planten den Umbau des Augusteums samt Anbau, der 2015 fertig wurde.

Wer heute nach Wittenberg kommt, erlebt eine durchsanierte Altstadt. Ganze 19 architektonische Interventionen der vergangenen Jahre listet das von der Architektenkammer Sachsen-Anhalt herausgegebene Architektouren-Faltblatt auf. Allein die Stiftung Luthergedenkstätten gab am Lutherhaus sieben Teilprojekte, darunter auch mehrere Freiraumgestaltungen in Auftrag. „Das Reformationsjubiläum ist für die Wittenberger Bauten, aber auch darüber hinaus, eine Jahrhundertchance. Solche umfangreichen Sanierungsmittel bekommen wir wohl so schnell nicht wieder,“ sagt Thomas Bechstein, Projektleiter für Investitionen bei der Stiftung Luthergedenkstätten.

Vom Turm der Schlosskirche aus gesehen verschiebt sich das Bild, lässt die langgestreckte Altstadt mit dem grünen Gürtel wie ein Kleinstadt gewordener Lottogewinn erscheinen. Und es drängt sich die Frage auf: Was bleibt den Wittenbergern, wenn die Besucher wieder weniger werden? Der inzwischen abgebaute Pavillon von Christ und Gantenbein, der im Rahmen der Wittenberger Weltausstellung über die Schweizer Sicht der Reformation informierte, wird den Wittenbergern vermutlich erhalten bleiben. Er soll im kommenden Jahr im Stadtwald als Treffpunkt für die Naherholung wieder aufgebaut werden.

Fotos: Stefan Müller


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Der Turm der Schlosskirche in Wittenberg mit dem sanierten Schlossflügel.

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Der Innenhof des Wittenberger Schlosses. Links der Predigerseminar-Neubau von Junk + Reich, der 2016 übergeben wurde.

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