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23.01.2012
Die unwiderstehliche Leichtigkeit des Seins
Schlaglicht auf die Möbelmesse imm in Köln
Was ist federleicht, farbig und individuell? Es ist das neue Lebensgefühl, das Besucher von der gestern zu Ende gegangenen Möbelmesse imm cologne mitbringen. Drei Gramm wiegt das Möbelstück, das diese Stimmung auf den Punkt bringt: Die Papiervase Air Vase – von Torafu Architects zum letztjährigen Salone vorgestellt und jetzt von Ligne Roset aufgelegt – taugt als Metapher für die Botschaft der Designschau: Die Vase ist ein hauchdünnes Nichts aus fein gestanztem und farbig beschichtetem Papier. Sie kommt zu uns als flache runde Scheibe und entfaltet sich dank der radial angeordneten Schlitze zu einer zarten Schale, deren Volumen kleine Gegenstände aufnehmen kann, eine andere Vase umhüllt – oder eben einfach Luft. Wie könnte man die Charakteristik der Generation Cloud besser formulieren?
Es ist also wieder da: Das beschwingte Gefühl von Leichtigkeit, das die Wohnzimmer zunächst in den zwanziger Jahren und dann vorsichtig wieder in den Fünfzigern und Sechzigern zu beflügeln begann. Und während wir die Sehnsucht nach dieser Leichtigkeit in den vergangenen Jahren häufig nur in Form von Surrogaten wie Retrowelle und Redesign und damit eher unzureichend stillen konnten, erleben wir nun, dass auch unsere Wohnkultur endlich im neuen Jahrtausend angekommen ist. Und in der Lage ist, mit neuen Materialien, Formen und Konzepten auf den Schlag mit der Öko-Keule aus unbehandeltem Kiefernholz zu reagieren, der uns einst unsanft aus unseren psychedelischen Plastik-Träumen von unerschöpflichen fossilen Energiequellen weckte.
Das Falten von Papier ist dabei eine Herangehensweise, die als konzeptuelles Vorbild für einige der neuen Möbel gedient zu haben scheint. So erinnert der ausladende Sessel Bahir des Schweizer Designers Jörg Boner (für COR) an eine flachgedrückte Himmel-und-Hölle-Faltfigur. Das Spiel mit Organik und Geometrie setzt sich am Stand des deutschen Polsterherstellers fort, etwa beim neuen Holzstuhl der Sesselfamilie Shrimp, den die Stuttgarter Designer Jehs und Laub entworfen haben. Seine Schale erweist zwar den Klassikern von Arne Jacobsen und den Eames’ eine stille Referenz, bleibt jedoch formal eigenständig. Auch am Nachbarstand von Interlübke beschwört man die Gewohnheiten der medienaffinen Generation Cloud: Bookless heißt das (von Gino Carollo und René Chyba gestaltete) ungewöhnlich flache und hinterleuchtete Regal, das als Display diverser technischer Geräte genauso funktioniert wie als Vitrine gesammelter Trophäen.
Dass ein Regal heute weniger als Stauraum dienen soll, sondern vielmehr ein miniaturisierter Ausstellungsraum für die schönen Dinge ist, die man im Laufe seines Lebens sammelt, beweist auch das Wandelement Tricolore der Berliner Designer und Architekten Hertel und Klarhoefer für Ligne Roset. Ursprünglich aus den norddeutschen Apfelschütten entwickelt, sind die frei im Raum oder vor der Wand stehenden Kastenmodule handwerklich so fein gearbeitet, dass sie sich als Vorlage für kleine und größere Kunstwerke eignen. Der Stand der Franzosen mit seinen 60 (!) Neuheiten in einer gedeckten Farbpalette beweist zudem, wie fruchtbar es ist, wenn sich ein Unternehmen direkt an Design- und Kunsthochschulen engagiert und den engen Draht zum Nachwuchs pflegt, wie es Michel Roset seit Jahren in Paris tut.
Dabei geht es nicht um Luxus oder Distinktionsgewinn, sondern um Freude. Und die kommt nicht nur im Wohnzimmer auf. Der Münchner Designer Konstantin Grcic hat mit seinem Schulstuhl Pro für den Schulmöbelhersteller Flötotto eine kleine Revolution ausgerufen: Mehr Farbe und mehr Bewegung im Klassenzimmer! Lernen soll Freude, Schule soll Spaß machen. Der dank seiner bauchig gebogenen Rückenlehne zunächst etwas sperrig wirkende Stuhl entfaltet seine Qualitäten beim Sitzen: Auf der Sitzfläche kann man sich wie bei einem Hocker in alle Richtungen drehen, die Rückenlehne ist so schmal, dass man sie auch als Armlehne verwenden oder sogar rittlings auf dem Stuhl sitzen kann. Die frischen Farben von Korallrot über Kiwigrün bis Aquablau ziehen sich über die Sitzschale ebenso wie das Untergestell. Und durch den Verzicht auf Fiberglas ist der Stuhl zudem fast ohne Rückstände rezyklierbar.
Nicht nur kleine Menschen, auch kleine Wohnungen haben die Hersteller inzwischen im Blick. So feiert der Sekretär als schlanker Hybrid aus Stauraum und Schreibtisch ein stilles Comeback. Ob als zierliches Tischchen oder „Office-in-the-Box“ – wie der Flatmate von Michael Hilgers für Müller Möbelwerkstätten – die diversen Varianten werden sowohl dem offenen Loft-Wohnen wie kombinierten Räumlichkeiten aus Schlaf- und Arbeitszimmer gleichermaßen gerecht. Dazu gehören auch beidseitig bespielbare Regalsysteme wie das Wogg 52 von Christophe Marchand, das zur Messe um einen passenden Schreibtisch (Wogg 54) ergänzt wurde, der prompt einen Interior-Innovation-Award erhielt. Das modular aufgebaute filigrane System ist ganz in schwarz-weiß gehalten und spielt mit variablen Geometrien, die an Kompositionen von Mondriaan einnern.
Ein Trend, der im vergangenen Jahr bereits in Mailand aufschien, war die deutliche Präsenz von Outdoormöbeln. Während viele Unternehmen auf kombinierte Modelle für drinnen und draußen setzen, legte der schwäbische Hersteller Richard Lampert – im vergangenen Jahr ausschließlich mit Kindermöbeln präsent – eine ganze Kollektion für das Leben im Garten auf. Auch natürliche Materialien wie Wolle und Holz sind nach wie vor Thema, wobei sie sich längst nicht mehr der Ästhetik des Astlochs unterordnen. Massivholztische von Girsberger, Riva und e15 zelebrieren das natürliche Wachstum und die Maserung des nachwachsenden Rohstoffs, während der Kölner Designer Eric Degenhardt mit seinem fast wie aufgepustet wirkenden Holztisch für Böwer mit unseren Wahrnehmungsgewohnheiten spielt. Gleichzeitig verweist er damit auf seinen Kollegen Oskar Zieta, der seit ein paar Jahren mit tatsächlich aufgeblasenen Metallmöbeln die Designwelt beglückt.
Auch Degenhardts Kleiderbügel für die Kollektion des Ladens Utensil kann man als ironischen Kommentar lesen. Utensil vertreibt dabei eigentlich anonymes Design industriell hergestellter Produkte: die schlichte Butterdose aus Pressglas, flache baskische Weingläser oder Schlüsselarmbänder aus dem Schwimmbad. Für die Passagen, die über die Stadt verteilt parallel zur Messe stattfanden, ließ Utensil von renommierten Designern eine ansehnliche Kollektion von Utensilien gestalten, die direkt in Kooperation mit der Industrie entwickelt wurden. So gibt es von den Designern Halfmann Mennickheim zwei Car Pets, die unverkennbar von einem Hersteller von Autoteppichen stammen, Isabel Bürgin entwarf die weiche Decke Pacoco in Kooperation mit einem Unternehmen, das Schweizer Krankenhausdecken webt, und Isabel Hamm gestaltete unter dem Namen Kolben eine Serie von Karaffen, die ihre ursprüngliche Herkunft – Erlenmeyerkolben aus der Chemie – nicht leugnen.
Aus den Präsentationen von Jungdesignern bei der Ehrenfeld Designer’s Fair stach die Gruppe halloessen hervor. Die Entwürfe von Jennifer Heimann, Holm Giessler und Kai Eckoldt entstehen neben dem eigentlichen Broterwerb der Designer. Handwerkliche und industrielle Techniken gehen hier Hand in Hand – wie zum Beispiel beim Filzteppich Eifel, der Tischleuchte beam oder dem Beistelltisch dans. Letzterer wirkt dank seiner Zweidimensionalität aus flachem, pulverbeschichtetem Stahl als sei er nur noch das Zeichen für einen Tisch – und scheint mit seinen zum Dreieck zulaufenden Beinen wie eine Ballerina auf Spitzenschuhen gleich davonschweben zu wollen. Ganz leicht, farbig und originell.
(Cordula Vielhauer)
Zum Thema:
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Direkt zur imm cologne: www.imm-cologne.de
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Air Vase von Torafu Architects für Ligne Roset
Bahir von Jörg Boner für COR
Shrimp von Jehs und Laub für COR
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