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17.11.2010
Dauerschockzustand
Schiffshebewerk in Brandenburg entsteht ohne Architektur
Das Schiffshebewerk Niederfinow ist ein technisches Denkmal von 1934 und ein weithin bekannter Touristenmagnet im östlichen Brandenburg. Bei diesem 60 Meter hohen Bauwerk wurde einst fast doppelt soviel Stahl verbaut wie beim Eiffelturm. Das historische Hebewerk, dessen Materiallebensdauer angeblich bald erreicht ist, soll demnächst außer Betrieb genommen werden. Es bleibt jedoch als Denkmal erhalten – das ist die gute Nachricht.
Die weniger gute Botschaft: Seit März 2009 wird unmittelbar neben dem Baudenkmal ein größerer Neubau errichtet. Ein Reporter des „Tagesspiegel“ berichtet in der heutigen Ausgabe, dass dort bisher allerdings lediglich eine Baugrube zu sehen sei. Die Abbildungen des Neubaus zeigen einen ungeschlachten, bunkerähnlichen Industriebau im Stile einer 70er-Jahre-Schraubenfabrik mit angeschlossenem Hochregallager. Soviel lässt sich in jedem Falle sagen: Ein so (un-)gestalteter Neubau stört massiv das Erscheinungsbild des denkmalgeschützten alten Hebewerks.
Auf Nachfrage beim zuständigen Wasserstraßen-Neubauamt erhalten wir auf die Frage nach den Architekten dieses Neubaus die Auskunft, er sei durch die hauseigene Planungsabteilung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung geplant worden, diese sei Bestandteil der Bundesanstalt für Wasserbau, diese wiederum eine Behörde des Bundesbauministeriums.
Auf die Frage nach einem Architekturwettbewerb antwortet der zuständige Sachbearbeiter, Herr Scheffert, mit völligem Unverständnis. Man plane und baue selber, ein Wettbewerb sei hier nicht erforderlich. Auf die insistierende Nachfrage nach der baukulturellen Bedeutung der Aufgabe kommt die Antwort, ein Wettbewerb sei vielleicht für Gebäude „von öffentlicher Relevanz“ nötig, hier jedoch nicht. Das brandenburgische Infrastrukturministerium bestätigt: Die Planung erfolge nicht durch das Land, sondern durch die Bundesbehörde Wasser- und Schiffahrtsverwaltung, diese genehmige sich selber.
Der Vorsitzende des Wettbewerbsausschusses der Brandenburgischen Architektenkammer, Andreas Elz, antwortet auf unsere Nachfrage zu dem Vorgang mit dem Stoßseufzer: „Wir leben bei allen Dingen hier im Lande in einem Dauerschockzustand“. Will sagen: Das Thema Baukultur und Architekturwettbewerbe sei in Brandenburg unterbelichtet. „Hier werden allenfalls VOF-Verfahren durchgeführt, wenn schon eine freihändige Vergabe nicht möglich ist“. Bei einem technischen Ingenieurbauwerk könne man den Bauherrn leider nicht zu einem Wettbewerb zwingen. Allenfalls das Landesamt für Denkmalpflege hätte in diesem Falle gefragt werden müssen.
Landeskonvervator Detlef Karg antwortet auf unsere Frage, ob das Landesamt eingebunden war, knapp mit: „Eindeutig ja“. Er erwähnt dann noch das Wort „Schadensbegrenzung“ und verweist ansonsten auf einen Mitarbeiter, der allerdings heute nicht zu sprechen ist.
Was bleibt, ist das Unbehagen, dass an prominenter Stelle und in unmittelbarer Nähe zu einem populären und bedeutenden Denkmal ein Großprojekt der Öffentlichen Hand ohne Architekten, ohne Architekturwettbewerb hochgezogen werden kann. Und zwar durch Akteure, die dem Bundesbauministerium unterstehen – demselben Ministerium, das in Sonntagsreden stets von „Baukultur“ sprechen lässt. (Benedikt Hotze)
Zum Thema:
Webseite des Schiffshebewerks: www.schiffshebewerk-niederfinow.info
Download:
Simulation (JPEG, 1,5 MB)
Kommentare:
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Das alte Schiffshebewerk (links) bleibt erhalten. Der Neubau (rechts) entsteht durch behördliche Planer ohne Architekturwettbewerb. Dieses Bild kann größer heruntergeladen werden.