Es ist selten, dass in einer Laudatio die Website eines Büros gelobt wird: Diese lasse sich, so Kaye Geipel mit Blick auf die Online-Präsenz von Sophie Delhay, als geradezu vorbildliche Anleitung zum Entwerfen lesen. Die französische Architektin Delhay wurde gestern in Karlsruhe mit dem Architekturpreis der Schelling Architekturstiftung ausgezeichnet. Neben Delhay wurde außerdem die Italienerin Paola Viganò mit dem Preis für Architekturtheorie geehrt, die Auswahl war bereits im Mai verkündet worden. Für den Architekturpreis nominiert waren außerdem Lacol aus Barcelona und das deutsche Büro Summacumfemmer, das den Publikumspreis erhielt. Die thematische Prämisse der aktuellen Runde blickte auf die „Bewohnbarkeit des Planeten“, und alle nominierten Büros dürfen dahingehend als exemplarisch gelten. Die Jury bestand neben Geipel aus Ludwig Wappner, Angelika Fitz, Jette Hopp, Kathrin Golda-Pongratz, Peter Cachola Schmal und Tobias Wallisser. Die Preise werden alle zwei Jahre vergeben.
Im Gegensatz zu anderen französischen Architekt*innen der jüngeren Generation ist Sophie Delhay hierzulande noch vergleichsweise unbekannt. Einige Aufmerksamkeit bekam sie aber für ihren flexiblen Wohnungsbau „Unité(s)“ in Dijon. Dieser besteht fast ausschließlich aus gleichwertigen Räumen von jeweils rund 13 Quadratmetern, die mittels Schiebetüren zu größeren Einheiten gekoppelt werden können. Das erinnert an frühere Experimente wie Kazuyo Sejimas Gifu Kitagata Apartment Building. Delhay findet hier aber unter Berücksichtigung der engen Grenzen des sozialen Wohnungsbaus eine ganz eigene Fortschreibung solcher Ideen. Sie selbst benennt außerdem die brasilianische Architektin Lina Bo Bardi als Referenz und deren Vision eines „Espace de liberté“, also eines Raums der Freiheit für die Bewohner*innen, von dem heute keine Rede mehr sein könne. Mit ihren Projekten, so die Jury, sei Delhay in wenigen Jahren zu einer Leitfigur der Erneuerung des städtischen Wohnungsbaus geworden – beispielhaft selbstverständlich auch über die Grenzen Frankreichs hinaus.
Die Würdigung von Paola Viganò wurde bereits im vergangenen Mai bekanntgegeben. Die Stadtplanerin und Architektin stammt ursprünglich aus Mailand und lehrt heute in Lausanne und Venedig. In der europäischen Debatte über drängende Fragen heutiger Stadtentwicklung sei Paola Viganò eine der entscheidenden Stimmen, so die Jury. Ihre Arbeit, die sowohl Theorie als auch Praxis umfasst, gilt der Suche nach gerechteren Stadtmodellen. Beteiligt war sie unter anderem an Projekten wie Grand Paris oder, gemeinsam mit Bernardo Secchi, an der realisierten Transformation des Theaterplein in Antwerpen. Auch das Konzept der „Porösen Stadt“ hat sie entscheidend mitgeprägt. Bei der Architekturbiennale in Venedig im vergangenen Jahr konnte sie zusammen mit Studierenden der EPFL Lausanne mit ihren Konzepten einen großen Raum bespielen.
Verliehen wurden die Preise gestern Abend bei einem Festakt im ZKM in Karlsruhe. Wie immer entschied sich die Jury für die Auswahl des Architekturpreises erst nach den Vorträgen der Nominierten. Gefeiert wurde außerdem auch das dreißigjährige Bestehen der Stiftung und ihrer renommierten Preise. Die Auszeichnungen für 2020 wurden wegen Corona erst im letzten November überreicht. (sb)
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
3
Aino | 31.10.2022 12:57 UhrBitte um Erklärung!
@ Aino 2 (du auch finnisch?):
Wer hat den Preis denn abgelehnt? Wann war das und wieso hat sich seitdem nichts verändert? Wurde das wenigstens mal diskutiert?
Über eine Uniarbeit bin ich erst darauf gekommen, wer Schelling war und was für eine Haltung dahinter stand. Und da fragt man sich schon, wie so etwas sein kann. Einen Preis in seinem Namen zu vergeben ist dann doch irgendwie unanständig, oder nicht?