War es tatsächlich dieses unglaubliche, tiefe Ultramarinblau? Ist das wirklich die originale Farbe? Die Frage kommt nicht nur bei denen auf, die alte Farbaufnahmen des Umlauftanks am Rande des Berliner Tiergartens kennen. So oft wurde die Versuchsanlage für Strömungsexperimente mit ihrer gigantischen, 120 Meter langen, rosafarbenen Ringrohrleitung vor dem Hintergrund der Pop-Art interpretiert – und doch erstaunt das Ergebnis der kürzlich abgeschlossenen Sanierung. Nicht zuletzt zeigt sich am frischen Blauton dass man alten Farbfotos mit Vorsicht begegnen sollte.
Man darf aber getrost davon ausgehen, dass hier alles mit rechten Dingen zuging, denn die denkmalgerechte Sanierung der 1974 offiziell eröffneten Versuchsanlage auf der Schleuseninsel lag in den Händen von Profis, die sich bei der Farbwahl auf eindeutige restauratorischen Befunden stützen konnten. Auf Initiative und unter Leitung der Wüstenrot Stiftung in Ludwigsburg haben HG Merz Architekten (Stuttgart/Berlin) und das auf Denkmalpflege spezialisierte Büro adb Ewerien und Obermann (Berlin) seit 2014 an der Instandsetzung des Umlauftanks gearbeitet, der ursprünglich für die altehrwürdige Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau VWS entstand und heute zur Technischen Universität Berlin gehört.
Kongeniale Köpfe
Kurz zur Erinnerung: Der Umlauftank – genau genommen: Umlauftank 2, denn bis vor einigen Jahren gab es noch einen älteren, weitaus kleineren Umlauftank 1 – ist eine Laboranlage für schiffstechnische Modellversuche in einem steten Wasserstrom, der durch einen Propeller an der engsten Stelle der rosafarbenen Ringrohrleitung erzeugt wird. Zwei Schiffsdieselmotoren mit insgesamt 5.500 PS Leistung treiben den 3,5 durchmessenden Propeller an, der die 3.500 Kubikmeter Wasser in der Ringrohrleitung auf eine Geschwindigkeit von bis zu zehn Metern in der Sekunde beschleunigt. In der blauen Laborhalle befindet sich die elf Meter lange, fünf Meter breite und bis zu drei Meter tiefe Messstrecke. Um Messungen vorzunehmen werden die Modelle – in den meisten Fällen sind dies Schiffskörper oder -schrauben – im Wasser fixiert und anschließend untersucht. Das System ist mit dem eines Windkanals vergleichbar.
Entwickelt wurde die Anlage Mitte der Sechzigerjahre von dem 1931 geborenen Wasserbauingenieur Christian Boës, der später nach Australien auswanderte, wo er bis heute eine Gärtnerei betreibt. Als im Herbst 1967 die konkreten Planungen für den Bau begannen, wurde der Berliner Architekt Ludwig Leo (1924–2012) mit der künstlerischen Oberleitung beauftragt. Leo hatte kurz zuvor den Wettbewerb für die Zentrale der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG in Spandau gewonnen – ein elfgeschossiges Dreick aus Sichtbeton in dessen schräge Westfassade ein sogenannter Sliplift integriert wurde, um die vielen Boote der Wasserrettung im Winter auf allen Ebenen des Hauses einlagern zu können.
Die DLRG-Zentrale sollte Leos Meisterwerk werden, am Umlauftank arbeitete er „eher nebenher“, wie sich ehemalige Mitarbeiter später erinnerten. Die Form der Laborhalle, die Details im Inneren und der Einsatz von Farbe – sehr viel mehr Spielraum hatte Leo eigentlich nicht. Doch diesen nutzte er mit größter architektonischer Souveränität um ein hybrides Gebilde zu entwerfen, das gleichermaßen Hightech-Maschine, skulpturales Objekt und bildhaftes Haus ist.
Im Ergebnis ist der Umlauftank eine reduzierte und zugleich assoziationsreiche architektonische Form, die an die Forderungen der frühen Postmoderne nach „Komplexität und Widerspruch“ (Robert Venturi) denken lässt und darüber hinaus an den russischen Konstruktivismus, den zeitgenössischen Rationalismus und nicht nur in ihrer Farbigkeit, sondern auch im konzeptionellen Ansatz an die ästhetischen Strategien der Pop Art erinnert. Boës und Leo – das war ein geradezu geniales Duo, das gemeinsam an den Grenzen des Machbaren agierte, Konventionen in Frage stellte und mit dem Umlauftank die größte Anlage ihrer Art weltweit realisierte.
Denkmalpflegerischer Pioniercharakter
Da von den wenigen Bauten Leos die meisten mehr oder weniger stark verändert wurden, ist es mehr als erfreulich, dass die Wüstenrot Stiftung sich dem Gebäude annahm. 3,5 Millionen Euro gab die Stiftung für das wegweisende Sanierungsprojekt aus, das denkmalpflegerischen Pioniercharakter hat, da es sich beim Umlauftank um ein sehr junges Gebäude handelt. Hinzu kommt die spezielle Verortung der Anlage irgendwo zwischen Architektur, Industriebau und Maschine sowie die Herausforderungen des Materials. Denn einerseits hat sich die Anlage vor allem im Inneren gut erhalten und litt nie unter einem hohen Nutzungsdruck, anderseits wies die Hülle ernsthafte Schäden auf, die sich nicht zuletzt aus dem besonderen Charakter des Gebäudes bedingten.
Überspitzt betrachtet, besteht der Umlauftank nur aus Stahl und Polyurethan-Schaum – dass PU-Schaum eine denkmalpflegerische Herausforderung par excellence ist, liegt auf der Hand. Konstruktive Basis der Anlage ist ein leichtes Stahlgerüst aus Doppel-T-Trägern, das auf dem Sockel aus Stahlbeton errichtet wurde. Die gigantische Ringrohrleitung wurde aus Stahlblechen zusammengesetzt, auf die vier Zentimeter dick PU-Schaum gespritzt wurde um Temperaturschwankungen des Wassers in der Rohrleitung zu verhindern. Die Hülle der Laborhalle besteht wiederum aus industriell gefertigten Sandwichpaneelen aus Stahlblech, die im Kern ebenfalls aus PU-Schaum bestehen.
Die Schäden an der rosafarbenen Ummantelung des Rohrs konnten aufwändig ausgebessert werden, so dass die originale Materialität in ihre aufregenden taktilen Qualität erhalten blieb. Bei den blauen Platten gelang dies trotz großer Anstrengungen nicht. Zu viele der Platten waren im Inneren schadhaft, denn der Schaum hatte sich im Laufe der Jahrzehnte von den Stahlblechen gelöst und im Zusammenspiel mit eindringendem Wasser zu einer chemischen Reaktion geführt, so dass die Platten von Innen her korrodierten. Von außen war das Ausmaß der Probleme anfänglich nicht einzuschätzen. Erst im Laufe des Sanierungsprojekts entschloss man sich dazu, alle Sandwichpaneele komplett zu ersetzen durch ein fast identisches Produkt, das der ursprüngliche Hersteller Hoesch immer noch im Angebot hat.
Was noch zu tun ist
Im Vergleich mit diesen Herausforderungen war im Inneren des Hauses vergleichsweise wenig zu tun. Vor allem ging es um den Rückbau einiger Trockenbau-Wände, die Installation zeitgemäßer Haustechnik, verschiedene Detailfragen und eine abschließende, solide Grundreinigung. Wichtig ist aber auch, dass durch einen neuen Fluchtweg im Erdgeschossbereich die Nutzerkapazität von früher 15 auf nun 75 Personen erhöht wurde.
Nachdem die Wüstenrot Stiftung in architektonischer Hinsicht ihr Soll erfüllt hat, liegt es nun an der TU Berlin, die Anlage nach 40 Jahren auf den neuesten Stand zu bringen. Der verstellbare Hubboden in der Messstrecke muss repariert und die beiden Dieselmotoren müssen grundlegend überholt werden. Als Achillesferse der Anlage gilt das Hauptlager des 24 Tonnen schweren Verstellpropellers, das ersetzt werden muss. Insgesamt 1,5 Millionen Euro hat die TU dafür budgetiert. In einem Jahr sollen diese Arbeiten abgeschlossen sein. Dann wird es auch eine Publikation zum Sanierungsprojekt sowie eine Ausstellung zum Gebäude geben.
Wenn schließlich neue steuer- und messtechnische Einrichtungen installiert werden, kann die Anlage wieder so genutzt werden wie am ersten Tag. Und das in Zeiten digitaler Simulationsmodelle? Die Antwort auf diese Frage ist ein ebenso entschiedenes „ja“ wie bei der Frage nach dem blauen Farbton. Denn trotz vielfältiger digitaler Möglichkeiten ist das Experiment bei vielen Forschungsfragen immer noch unumgänglich.
In der heutigen Pressekonferenz zum Abschluss der Sanierungsarbeiten betonte Paul Uwe Thamsen, der als Vizepräsident der TU das Projekt mit auf den Weg gebracht hatte, dass der Umlauftank nicht mit neuen, bestens ausgestatteten Anlagen konkurrieren wolle. Vielmehr habe man es mit einem liebevoll in Schuss gebrachten Oldtimer zu tun. Hier werde keine kommerziell orientierte Auftragsforschung stattfinden, sondern der Raum für innovative Experimente, die nicht unbedingt den Einsatz teurer Hochleistungsanlagen benötigen und legitimieren. Um „Spaß an der Forschung“ solle es gehen und um eine verstärkte Einbindung der Öffentlichkeit. Vier Professuren der TU Berlin sollen hier zukünftig forschen. Die Leitung liegt bei dem von Andrés Cura Hochbaum geleiteten Fachgebiet Dynamik Maritimer Systeme. Das Haus rundum erneuert, die ursprüngliche Nutzung reaktiviert – ein besseres Ergebnis kann man sich für ein hochgradig spezielles Denkmal wie den Umlauftank eigentlich nicht wünschen.
Weitere Informationen und Bilder zum Sanierungsprojekt finden sich auf der Website der Wüstenrot Stiftung. Begleitend zur Sanierung fand das Ausstellungs- und Publikationsprojekt Ludwig Leo Ausschnitt statt (an dem der Autor dieses Artikels beteiligt war).
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Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Reinhard Lutum, Rheinischer Verein f. Denkmalpflege -Regionalverband Düsseldorf | 01.12.2017 12:46 Uhr
Ludwig Leos Umlauftank 2, Danksagung
Eine herausragende denkmalpflegerische Leistung aller Beteiligten für die Technikdenkmale, besonders für die Architektur der 2. Nachkriegsmoderne. Danke WüstenrotStiftung!
Chapeau Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz -Regionalverband Düsseldorf
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schlawuki | 29.11.2017 17:31 Uhr
landmark
Hut ab aus Bayern, liebe Preussen + Schwaben ! So eine markante Landmarke mit wichtiger Funktion. Gut gemacht....
3
Marc B | 29.11.2017 11:14 Uhr
Irgendjemand...
...hat offensichtlich das kleine Häuschen nebenan vergessen, da war dann nicht mal mehr Geld für das Fensterstreichen drin. So ist es dann wahrscheinlich mit der Budget-Zuordnung. Was am Anfang nicht drin ist, kann aus formalen Gründen nicht mehr aufgenommen werden...
2
Visionär | 27.11.2017 18:06 Uhr
Das rockt
Berlin, es geht doch. Ein markantes Bauwerk aus den 70zigern perfekt restauriert. Klasse!!
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Jenatsch | 27.11.2017 16:45 Uhr
Bravo!
Kompliment an alle Beteiligten! Schön, dass in Berlin nicht immer nur abgerissen wird, sondern auch vorbildliche Sanierungen von Bauten der 60er und 70er Jahre möglich sind. Vielleicht braucht es die Unterstützung aus dem Schwäbischen auch beim ICC ?
Mein Kommentar
An der Rückseite des Umlauftanks liegen links ein Treppenhaus und rechts ein Personen- sowie ein Lastenaufzug.
Der Maschinenraum im Sockelbereich zitiert die Form eines Achterkastells, wie man es früher auf Segelschiffen hatte.
Die Ringrohrleitung ist 120 Meter lang und weist an der breitesten Stelle einen Durchmesser von acht Metern auf.
Oberlichter machen die offene Laborhalle mit ihren Galerien zu einem hellen und freundlichen Arbeitsort.
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Reinhard Lutum, Rheinischer Verein f. Denkmalpflege -Regionalverband Düsseldorf | 01.12.2017 12:46 UhrLudwig Leos Umlauftank 2, Danksagung
Eine herausragende denkmalpflegerische Leistung aller Beteiligten für die Technikdenkmale, besonders für die Architektur der 2. Nachkriegsmoderne.
Danke WüstenrotStiftung!
Chapeau
Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz -Regionalverband Düsseldorf