Von Gregor Harbusch
Es gibt sie in jeder deutschen Kommune, sie sind meist unspektakulär und oft in lausigem Zustand: Verwaltungsbauten aus der Nachkriegszeit. Ein solcher Bau ist die 1966 fertiggestellte Erweiterung des Rathauses Wedding von Fritz Bornemann am Berliner Leopoldplatz. Großzügig von der vielbefahrenen Müllerstraße abgerückt, verkörpert das Ensemble aus 12-geschossigem Punkthochhaus und aufgeständertem Saal der ehemaligen Weddinger Bezirksverordnetenversammlung (BVV-Saal) die städtebaulichen Ideale der Nachkriegsmoderne.
Knapp 50 Jahre diente das Hochhaus neben dem wuchtigen, neusachlichen Rathaus aus rotem Backstein von 1930 als Bürobau und Bürgeramt. Doch mit der Bezirksreform 2001, als Wedding in den Bezirk Mitte eingegliedert wurde, begann der Wandel des Hauses. Der BVV-Saal diente 2006–14 als Stadtteilbibliothek, seit Mitte 2015 wird das gesamte Ensemble als Jobcenter genutzt. Bereits 2012 konnten Rüthnick Architekten (Berlin) ein Verhandlungsverfahren für die Grundsanierung des Ensembles entscheiden. Von 2013 bis Ende letzten Jahres arbeiteten sie an dem 8.900 Quadratmeter BGF umfassenden Projekt, dessen Sanierung 10,76 Millionen Euro kostete.
Exemplarischer Ansatz
Brandschutz, energetische Ertüchtigung, Schadstoffe im Bestandsbau und die Erneuerung der technischen Anlagen gehörten zu den Herausforderungen der Grundsanierung, die die Architekten in Abstimmung mit der Unteren Denkmalschutzbehörde planten und umsetzten. Das Ergebnis der Grundsanierung muss auch exemplarisch gesehen werden, da bei unzähligen vergleichbaren Bauten momentan die Frage im Raum steht, ob man sie sanieren oder abreißen solle.
Das Haus war und ist weiterhin ein Verwaltungsbau, dementsprechend konnte an entscheidenden Punkten mit dem Bestandsschutz argumentiert werden. Die Grundrisse blieben nahezu unverändert. Nur an einzelnen Stellen wurden die originalen Raumstrukturen aus Rabitz mit Trockenbausystemen verändert. Eine entscheidende Nutzungsänderung springt sofort und etwas irritierend ins Auge: Das ehemals weiträumige und offene Foyer wurde durch das Jobcenter mit langem Informationstresen, Wartebereich und Teppich ausgestattet und zur zentralen Anlaufstelle für Besucherinnen und Besucher umfunktioniert.
Trotz der Nutzeranforderungen und der begrenzten finanziellen Spielräume konnten die Architekten an entscheidenden Stellen Charakter und Materialität des Originals bewahren. In den Bürogeschossen blieben beispielsweise die Ziegelmauern in den Fluren erhalten, ebenso das Drahtglas in den Fenstern über den Bürotüren und am Fluchttreppenhaus sowie die Heizkörper. Der neue, grau melierte Linoleumboden kommt dem Original nahe. Die Höhepunkte der Sanierung sind der ehemalige BVV-Saal und der Dillenburg-Saal im ersten Obergeschoss des Hauses. In beiden Räumen konnten die originalen Decken und Wandverkleidungen aus Holz erhalten und eine behutsame brandschutztechnische Ertüchtigung realisiert werden.
Verlorene Materialität, bewahrtes Bild
Der schmerzlichste Aspekt ist sicherlich, dass die originale Fassade des Hochhauses nicht erhalten werden konnte. Bornemann hatte hier auf einen Schwarz-Weiß-Kontrast gesetzt und mit zwei unterschiedlichen Arten von Waschbeton gearbeitet: Die durchgehenden, hellen Platten mit großen Marmorkieseln markieren die Geschosse, dazwischen liegen Streifen mit Fenstern und dunklen, kleinteiligen Waschbetonplatten. An der Fassade zeigt sich, wie sehr die Architektur dieser Zeit am Limit des Möglichen agierte, betont Elisabeth Rüthnick. Will sagen: Die Bestandskonstruktion hätte es statisch nicht erlaubt, hinter die Waschbetonplatten eine Dämmung anzubringen und dann die originalen Platten wieder zu montieren. Außerdem waren die Waschbetonplatten durch Frostschäden teilweise brüchig geworden waren; immer wieder brachen einzelne Kiesel aus.
Bei einem Denkmal wie Bornemanns herausragender Deutschen Oper mit ihrer monumentalen Waschbetonfassade würde man natürlich eine bestandserhaltende Lösung entwickeln, meint Rüthnick, aber bei einem Verwaltungsbau seien die finanziellen Möglichkeiten verständlicherweise begrenzt. Umgesetzt wurde schließlich ein verputztes Wärmedämmverbundsystem, das in seiner Farbigkeit den Ursprungszustand widerspiegelt. Die Materialität ging also verloren, das grafische Bild blieb jedoch erhalten. Dazu tragen auch die gelungenen, komplett neuen Verbundfenster mit ihren verhältnismäßig geringen Profilbreiten bei, die das ursprüngliche Sprossenbild nachzeichnen. Die neue Fasade erfüllt nun EnEV 2014.
Der aufgeständerte, voll verglaste Verbindungsgang zum Altbau war nicht Teil der Grundsanierung. Der Gang ist dauerhaft verschlossen und wird nicht mehr genutzt, seit im Erweiterungsbau das Jobcenter untergebracht ist. Im Zuge der Sanierung sollte er abgerissen werden, was Architekten und Denkmalpflege dankenswerterweise zu verhindern wussten. Momentan mag er für den Betreiber ein lästiger, ungenutzter Restraum sein, doch die Potentiale dieses exponierten space mit Blick auf den Leopoldplatz liegen auf der Hand. Bleibt nur die Frage: Wer hat Ideen und Mittel, diesen Raum öffentlich zu bespielen?
Fotos: Andreas Meichsner, Kevin Fuchs
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fabrik3 | 14.03.2019 18:04 Uhrbehutsam und gut
echt gelungen.