Der Vercors ist ein Naturschutzgebiet in den westlichen Alpen Frankreichs. Im Volksmund auch als forteresse (Festung) bezeichnet, ist das 170 Quadratkilometer große Gebiet durch schroffe Felsverläufe nur schwer zugänglich. Die Bergregion zwischen den Départements Isère und Drôme ist mit 12.000 Einwohnern nur dünn besiedelt. Dennoch: Dort, wo Menschen wohnen, gibt es Müll. Gemäß der Commune du Massif du Vercors entstanden 2019 im Gebiet 3.233 Tonnen Hausmüll und 422 Tonnen Verpackungsmüll. An einem sogenannten écosite wird der private Abfall des Vercors gesammelt und sortiert, ehe er je nach Art in die Entsorgungs- und Recyclinganlagen nahe dem benachbarten Grenoble gebracht wird. Für diese Sammelstelle haben nun atelier png (Grenoble, Paris) nach vier Jahren Entwurfs- und Realisierungszeit ein neues Hauptgebäude entwickelt – mit 186 Kubikmetern Massivholz aus dem Vercors ein Gegenbild zum ressourcenverbrauchenden Müll.
Der Gebäudetyp ist ungewöhnlich: Auf einer Fläche von 1.500 Quadratmetern fassen atelier png die von LKWs befahrbare Lagerhalle für den Müll und den ebenerdigen Bürotrakt in einem Baukörper zusammen. Bemerkenswert ist auch das weit auskragende, von der Wand abgesetzte Dach aus Holz, dessen abgetreppte Balkenkonstruktion zunächst dekorativ zu sein scheint. Seine Form geht aber auf die Beschaffenheit der örtlich verfügbaren Fichte zurück. Das Holz des Nadelbaums konnte laut Aussage der Architekt*innen nicht nach für den Außenbereich üblichen chemischen Verfahren behandelt werden. So entwarfen png jene Abtreppung rau geschnittener, exponierter Balken, die durch Geometrie und Witterung den extremen Wetterverhältnissen im Vercors standhalten sollen.
Ihre Konstruktion für den écosite entwickelten die drei Büropartner Antoine (Pedro) Petit, Nicolas Debicki und Grichka Martinetti eng mit dem örtlichen Forstunternehmer Gérard Sauvajon. Sie verwendeten dabei möglichst unbehandeltes Massivholz. Sauvajon ließ eigens für das Gebäude Fichten fällen und ihre Stämme ein Jahr trocknen. Lediglich die präfabrizierten Wände bestehen aus Beton. Das Skelett, die Verkleidungen und der Innenausbau sind aus den Sauvajon’schen Gehölzen. Innen im Bürotrakt ließ atelier png die beweglichen Elemente wie Türen und Fensterrahmen aus dem gleichen Holz wie die unbeweglichen Wandverkleidungen und Decken anfertigen, mit dem Effekt, dass die außen offengelegte Konstruktion innen harmonischer erscheint. Sucht man vielleicht mal nach einer Architektur, die sich als site specific bezeichnen lässt, ist dieses kleine 2-Millionen-Euro-Projekt für eine Müllsammelstelle auf einem Hochplateau im Vercors wohl ein gutes Beispiel. (sj)
Fotos: © atelier png
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