320 Seiten Fotobuch klammergeheftet! Das muss man erst mal hinbekommen. Und zwar nicht technisch, sondern konzeptionell argumentiert. Bei Iwan Baans aktuellem Bildband Rome – Las Vegas. Bread and Circuses setzt die billig wirkende Klammerheftung, die das Buch aufbäumt und -bläht, genau den richtigen Tonfall. Hinzu kommt ein metallisch schriller, goldfarbener Umschlag.
So umreißt das von Haller Brun gestaltete Buch bereits als Objekt die Fragen nach low und high, Fake und Authentizität, billig und wertvoll, denen Baan fotografisch nachspürt. Und es fällt auf. So wie eben auch Rom und Las Vegas auffallen – und darin mitunter auch nerven können. Rom als kanonischer Bezugspunkt des Abendlandes, der Generationen von Schüler*innen durch den Lateinunterricht und Kunstgeschichtestudierende durch das Propädeutikum quälte und quält. Las Vegas als Inbegriff des kapitalistischen Hedonismus und der hemmungslosen Aneignung und Verwertung weltweiter Bautraditionen.
Baan wäre freilich nicht Baan, wenn er in diesen beiden vermeintlich so bekannten Städten nicht eine ganze Menge neuer Dinge entdecken und aufregende Blicke festhalten würde. Er tut dies in langen Fotostrecken voller skurriler und zuweilen schockierender Einsichten. Man wandert durch die Erlebnisarchitekturen von Las Vegas, fliegt über die monotonen Wohnsiedlungen der Stadt oder quält sich durch schwitzende Touristenmassen in Rom. Und immer geht es ganz entscheidend um Raum, Architektur und Gestaltung in ihren zuweilen seltsamsten Formen.
Der Schwerpunkt des Buches liegt auf Las Vegas. Rom ist eher Referenzpunkt, womit die Gewichtung im Buch letztlich die amerikanische Perspektive auf den Sehnsuchtsort im alten Europa widerspiegelt. In diesem Sinn ist es, erstens, wenig überraschend, dass sich Baan natürlich auf Learning from Las Vegas bezieht. Das wegweisende Buch von Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour feierte vor zwei Jahren seinen 50. Geburtstag.
Zweitens ist es nur logisch, dass Rome – Las Vegas im Zusammenhang mit einer Ausstellung entstand, die ursprünglich in der American Academy in Rom gezeigt wurde. Die Ausstellung war sicherlich nicht schlecht, doch dieses fulminante Buch ist besser! Diese Aussage sei hiermit ohne Kenntnis der Ausstellung gewagt.
Text: Gregor Harbusch
Rome – Las Vegas. Bread and Circuses
Iwan Baan
Gestaltung: Haller Brun
Englisch
320 Seiten
Lars Müller Publishers, Zürich 2024
ISBN 978-3-03778-753-3
45 Euro
Zum Thema:
Noch bis Donnerstag, 11. Juli 2024 zeigt die Architekturgalerie München im Bunker (Blumenstraße 22, 80331 München) Bilder Iwan Baans aus Rom und Las Vegas. Die Ausstellung ist von Mittwoch bis Samstag, 15–19 Uhr geöffnet.
2021 veröffentlichte Baan zusammen mit Francis Kéré bei Lars Müller Publishers das Buch Momentum of Light. Auch bei dieser Publikation gingen der Zürcher Verlag und der Amsterdamer Gestalter Brun ungewöhnliche Wege.