Rund um den 210 Meter hohen Büroturm Tour Montparnasse im 15. Arrondissement von Paris überlagern sich zwei städtebauliche Paradigmen: In Richtung des Stadtzentrums erstrecken sich die Boulevards des 19. Jahrhunderts mit ihrer einheitlichen Traufhöhe und den Flaniertrottoirs. Doch stadtauswärts durchschneidet ein urbanistisches Projekt der 1960er und 1970er Jahre das Hausmann’sche Gefüge. Breite Autostraßen legen sich um das Hochhaus und das dazugehörige Einkaufszentrum von 1972/73, ein planiertes Plateau zum überregionalen Bahnhof Montparnasse ist vielmehr Parkplatz als öffentlicher Platz. Eine autogerechte und vielfache kritisierte Anlage. Im heutigen Paris, wo 2017 täglich durchschnittlich 238.000 Kilometer mit dem Leihfarrad Vélib zurückgelegt wurden, ist sie längst obsolet.
Der Montparnasse-Turm selbst wird nach einem internationalen Wettbewerb in den nächsten Jahren vom Pariser Büro Nouvelle AMO umgebaut und modernisiert. Und auch das ganze Areal um ihn herum soll ein städtebauliches Redesign erhalten: Offen, Grün, fußgänger- sowie fahrradfreundlich und sozial wie funktional durchmischt sollen die Flächen und Straßenzüge um den Turm werden – das jedenfalls ist die Zielsetzung eines städtebaulichen Wettbewerbs, die zuvor unter Beteiligung von Anwohner*innen erarbeitet wurde. Seine Auslober sind die Stadt Paris und das Ensemble immobilier Tour Maine-Montparnasse, ein Zusammenschluss mehrerer privater Eigentümer von Turm und Einfkaufszentrum. Im Winter letzten Jahres luden sie vier ausgewählte Büros ein, einen Masterplan vorzulegen. Gewonnen hat nun der Entwurf von Rogers Stirk Harbour + Partners (London)
- 1. Preis: Rogers Stirk Harbour + Partners (London) in Zusammenarbeit mit Lina Ghotmeh Architecture (Paris), Une Fabrique de la Ville (Paris) und Michel Desvigne Paysagiste (Paris) u. a.
- Shortlist: l’AUC architectes et urbanistes (Paris) in Zusammenarbeit mit Office Kersten Geers David Van Severen (Brüssel) und Mosbach Paysagistes (Paris) u. a.
- Shortlist: TVK – Trévolo Viger-Kohler architectes et urbanistes (Paris) in Zusammenarbeit mit Allies and Morrison (London) und Base Architects (London) u. a.
- Shortlist: uapS – Anne Mie Depuydt & Erik Van Daele (Paris) in Zusammenarbeit mit Atelier Jacqueline Osty Associés (Paris) u. a.
Dass sich gerade die Londoner Rogers Stirk Harbour + Partners als globale Player gegenüber den drei jüngeren französischen Büros durchsetzen konnten, obwohl sich alle vier eingereichten Vorschläge in vielen Punkten ähneln, deutet auch auf die politische Anfälligkeit dieses viel debattierten Ortes hin. Offenbar wollen die Entscheidungsträger mit dem Zuschlag für erfahrene Expert*innen kein Risiko eingehen.
Dabei sehen nicht nur alle Entwürfe begrünte Dächer vor. Vielmehr möchten die vier Wettbewerbsteilnehmer gleichermaßen an der Stelle des jetzigen Flachbaus des Einkaufszentrums auf Straßenebene eine grüne Plattform anlegen. Der Autoverkehr würde an der Place du 18 Juin 1940 um die Anlage herumgeführt, von wo sich auch das Plateau für Fußgänger und Fahrradfahrer öffnen soll. Auf der geschaffenen Freifläche würden sie um den Turm herum und bis zum Bahnhof Bäume pflanzen – 4.000 im Falle von Rogers Stirk Harbour+Partners. Einheitlich ist auch der Vorschlag, einen Zugang zum erhaltenen mehrgeschossigen Teil des Einkaufszentrums unterirdisch zu legen.
Ein großer Unterschied hingegen findet sich in der Setzung einer Reihe neuer Bauten zwischen dem erhaltenen Teil des Einkaufszentrums und dem Turm: Planen etwa die Wettbewerbsgewinner eine Rückstaffelung von sieben Neubauten und bilden damit eine mäandernde Route zum Hochhaus, legen TVK und uapS starre Achsen zwischen die Place du 18 Juin und den Büroturm. L’AUC fallen mit einem anderen Ansatz auf: Sie dezentralisieren durch die Platzierung ihrer Neubauten das Areal und schaffen gleich mehrere kleine Parklichtungen. Damit sind sie auch die einzigen, die sich die neuen Gebäude teilweise als offene, weiter gestaltbare Konstruktionen vorstellen, während alle anderen die zu entstehenden Wohn- und Geschäftsbauten eher mit glatten Glasfassaden vermitteln.
(sj)
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