Was können sich Architekten Schöneres vorstellen, als auch ihre Freizeit mit Architektur zu verplanen? KOSMOS architects sind ein virtuelles Büro aus vier russischen Partnern, die in verschiedenen Büros in Basel, New York und Moskau tätig sind. Zu ihren bisherigen Nebenprojekten zählen unter anderem ein 2012 realisierter Kunstpavillon im Moskauer Gorky Park sowie der erstplatzierte Entwurf für das Hans Christian Andersen Museum in Dänemark.
Mit ihrer aktuellen Intervention namens EMA verwandeln sie einen verlassenen Ort aus sowjetischer Zeit für einen Sommer in ein belebtes kulturelles Zentrum. Ziel der jungen Architekten ist es, dieses Stadtfragment wieder im öffentlichen Gedächtnis zu verankern und ideell aufzuwerten. Ihre gestalterische Intervention koppeln KOSMOS mit einer Social-Media-Strategie, um für das Areal so etwas wie ein digitale Erinnerung zu schaffen. Denn für Ende des Jahres sind ein Abriss und eine Neubebauung durch Investoren geplant.
EMA steht für Electrical Medical Apparates, eine Firma, die vor mehr als zehn Jahren einen neuen Standort bezog und ihren in den 1950er und 60er Jahren erbauten Sitz in dem zentrumsnahen Moskauer Viertel, unweit des im Zuckerbäckerstil erbauten stalinistischen Hochhauskomplexes „Sieben Schwestern“, verließ. Anknüpfend an die vielerorts ausgegrenzte Ästhetik der Sowjet-Ära, experimentierten KOSMOS für das Projekt mit banalen Baumarkt-Materialien wie elektronischen Kabeln, Sprinkleranlagen, Lichtern, Reflektoren und Dämm-Material – Alltägliches, das sie hochästhetisch zu kombinieren wissen.
Vier wesentliche Elemente prägen die Gestaltung des Projekts, das an ein surreales Bühnenbild erinnert: die „Verpackung” der Bestandsgebäude in Form von umgeschlagener und umwickelter Folie, ein Himmel aus Kabeln und Lichtern über dem Innenhof, die Wiederverwendung des Firmen-Werbeschilds und eine überdimensionale Scheibe. Die silberne Hülle des Bestands bildet die markanteste Intervention, die glänzende Fassade aus Dämmaterial, das für gewöhnlich der Isolierung von Rohren dient, sichert die Ruine des Industrieareals und bildet gleichzeitig einen außergewöhnlichen metallisch-reflektierenden Hintergrund.
Wie ein Sternenzelt leuchtet der „infrastrukturelle Himmel” – das über den Innenhof gespannte Netz aus Kabeln und Lichtern, Lautsprechern und Sprinklern, unter dem Veranstaltungen wie Konzerte und Workshops stattfinden. Seine unterschiedlichen Komponenten gleichen der technischen Infrastruktur einer jeden Raumdecke. Ikonisches Element am Himmel der temporären Gestaltung ist eine riesige Mondscheibe, neun Meter hoch und mit Verkehrsstreifen-Farbe mit ihren reflektierenden Partikeln beschichtet. Sie diene als „Social Media Ikon“ und sei bereits in den ersten Wochen der Projektlaufzeit zu beliebtem Hintergrund „digitaler Erinnerungen“ für zahllose Smartphone-Fotos und Selfies avanciert.
Die Re-Installation des klassischen Leucht-Billboards der EMA markiert das Projekt in seinem städtischen Kontext, die Innenräume sind weitgehend in ihrem ursprünglichen Zustand erlebbar. Das EMA-Projekt ist keine Hommage an die sozialistische Vergangenheit, aber in jedem Fall eine Auseinandersetzung mit ihr und dem Entwicklungsdruck Moskaus. KOSMOS sehen in ihrem Projekt Parallelen zum von OMA entwickelten Strelka Institute , das 2010 ebenfalls vom Abriss bedroht war und dann doch erhalten werden konnte. (lr)
Fotos: Yuri Palmin
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DasHolzspatel | 28.07.2015 15:58 Uhrsurreale Fassade oder Müll...
als würde David Lynch jetzt auch noch Architektur / Fassadengestaltung machen.
Grandios.