Im Londoner Süden steht ein neuer Prototyp, der aus seiner Nachbarschaft unübersehbar heraussticht und die typisch viktorianische Reihenhausbebauung nicht nur formal sprengt. „Slip House“ nennen Carl Turner Architects ihr 200 Quadratmeter großes Projekt in Brixton, das im September letzten Jahres fertig gestellt wurde.
Der auffällige Neubau sollte so einfach und flexibel wie möglich sein. Er setzt sich aus drei Kuben zusammen, die leicht gegeneinander verschoben sind und so den Eindruck erwecken, sie wären verrutscht. Das Architektenpaar Mary Martin und Carl Turner will mit seinem „Slip House“ den gleichförmigen Charakter des Reihenhauses aufbrechen – selbstbewusst kragen die beiden obersten Geschosse zur Straßenseite hervor. Die Dachterrasse kann man erahnen, bleibt aber durch die geschlossene Brüstung von der Straße aus uneinsehbar – ein privater Rückzugsort mitten in der Stadt.
Auffällig ist nicht nur die Form, sondern auch die für London ungewöhnliche Materialwahl der Fassade. Die tragenden Außenwände sind mit teilweise opaken, teilweise transparenten Glaspaneelen verkleidet und öffnen das Haus zu seiner Umgebung.
An der schlichten und etwas kühlen Innenraumgestaltung lässt sich leicht erraten, dass hier die Architekten selbst wohnen – ihr Büro haben sie im Erdgeschoss. In der mittleren Etage sind Schlafzimmer untergebracht, während sich Küche und Wohnräume im oberen Geschoss befinden und zur Dachterrasse führen – das ist ungewöhnlich, sind doch sonst intime Räume wie Schlafzimmer eher oben als in der Mitte eines Hauses.
Das Konzept des Wohn- und Atelierhauses soll die Nachbarschaft beleben und ein Modellversuch für die Entwicklung neuer flexibler und bezahlbarer Wohnkonzepte sein. Minimalismus? Funktionalismus? Brutalismus? – Die Nachbarschaft reagierte bisher zwiegespalten auf den „Friendly Alien“; es wird noch dauern, bis solche ambitionierten Wohnexperimente weniger eine Sensation sind, sondern die Diskussion zur Stadtentwicklung anschieben. Carl Turner Architects haben derweil eine zweite Parzelle in der Gegend im Auge, die sie bald bebauen werden.
Übrigens: Das mit Polycarbonatplatten verkleidete Galerie- und Ateliergebäude von Arno Brandlhuber in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte kannten die Londoner Architekten bisher nicht – finden es aber jetzt sehr schön.
Fotos: Tim Crocker
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