Von Stefan Rethfeld, Fotos: Christian Richters
Vor 40 Jahren verstand sich das neue Rathaus (1969–76) im westfälischen Gronau als wichtige Zukunftsinvestition. Gestärkt ging die Kommune aus der Gebietsreform hervor und galt als Schrittmacher einer ganzen Grenzregion zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, der Bundesrepublik und den Niederlanden. Gronau wurde zum „Bundesausbauort“ – und das neue Rathaus zum Schlüsselbau einer boomenden Stadt im europäischen Verbund.
Im Architekturwettbewerb konnte sich seinerzeit Harald Deilmann (Münster) gegen Entwürfe von Hanns Dustmann (Bielefeld), Ottomar Gottschalk (Hamburg), Gottfried Böhm (Köln) und Walter Henn (München) und anderen durchsetzen. In der Auslobung forderte die Stadt kühn einen „Großraum für Gronau“, damals bundesweit ein Novum für einen Bau der öffentlichen Verwaltung. Und statt eines reinen Behördenbaus sollte es sich als „Haus der Bürger“ verstehen. In Forschungsprojekten an den Hochschulen in Stuttgart und Dortmund war es Harald Deilmann, der international vernetzt diesen Entwurfsfragen nachging: Wie sehen öffentliche Verwaltungsbauten der Zukunft aus?
Sein Plädoyer wandte sich denn auch gegen „geistlosen Schematismus“ – er warb für ein Bauen mit Gestalt und für eine Neuinterpretation der demokratischen Idee, die gerade Rathausbauten innewohnt. Ihn faszinierte der Gedanke, Großgebilde zu entwerfen, die Aktivitäten aufnehmen, auslösen und miteinander verknüpfen können. Über Büro- und Sitzungsstrukturen hinaus warb er für Verflechtungen unterschiedlicher Einzelnutzungen in einem baulichen Komplex: Bibliothek, Kunsthalle, Volkshochschule, Läden, Cafés, Hotel bis hin zum Theater.
Für Gronau entwarf er daher auch einen Baukomplex, den Flexibilität und Offenheit auszeichnen. Das Haus konnte sich damals mit internationalen Standards messen. Basierend auf einem Dreiecksraster schichtete er drei terrassenförmige Ebenen zu einem Stufenmonument. Innen und außen ergaben sich verschieden bespielbare Zonen.
Wer heute das Haus besucht, kann vieles von diesen Gedanken noch im Original erleben: eine offene, multifunktionale Treppenhalle im Erdgeschoss samt publikumsstarken Einrichtungen (wie das Standesamt), im Obergeschoss repräsentative Büros für die Stadtspitze, im Verwaltungsbereich auf zwei Ebenen Großräume mit Arbeitsplätzen für insgesamt 145 Mitarbeiter. Ein zweigeschossiger Sitzungssaal mit Zuschauertribüne und eine Cafeteria liegen obenauf. Im Wettbewerb waren sogar eine Stadthalle, eine Polizeistation und ein Brückenrestaurant über den nahen Fluss als Erweiterungsoptionen angedacht. Der Spirit des Gebäudes ist noch immer spürbar – auch die bauzeitliche Innenausstattung sowie Möbel sind im Wesentlichen erhalten.
So sehr die Fachwelt sich jedoch über dieses ungewöhnliche Gebäude freut, so sehr sind manche Vertreter aus Politik und Verwaltung vor Ort verzagt. Sie fordern bessere Arbeitsbedingungen in den offenen Büroebenen – und verweisen auf vielerlei technische und energetische Mängel.
Über zehn Jahre stritt man über einen perspektivischen Umgang mit dem eigenen Gebäude, das bis heute von Stadtverwaltung und –politik genutzt wird. Ein Gutachten eines Fachbüros ergab bereits 2012, dass ein kompakter Neubau sich wirtschaftlicher darstellt. Der Rat der Stadt schloss sich diesem Urteil an. Nicht aber eine Initiative von Bürgern und Fachleuten, die für ein neues Bewusstsein wirbt und für Sanierung und eine Weiterbau-Lösung plädiert – auch aus Gründen der kulturellen Nachhaltigkeit.
Sie bekamen nun jüngst Rückenwind, denn auch die Denkmalpfleger des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe bewerteten das Bauwerk als schutzwürdig. Passend nun zum 40. Geburtstag – die Eröffnung erfolgte am 23. April 1976 – wurde die Stadt gebeten, es in ihre Denkmalliste einzutragen. Doch nicht alle Ratsmitglieder sind hiervon überzeugt und erwägen Schritte gegen diesen Beschluss.
Dabei liegt nun der Gedanke von Sanierung und Weiterbauen zum Greifen nahe – und zeigt sich als Gebot der Zeit. Vergleichbare, gelungene Umbauprojekte gibt es zuhauf. Wer dies entschlussfreudig angeht, wird erstaunt sein, über welches enorme Potential das Gebäude verfügt. So entwickelt, könnte es auch weiterhin als Botschaftsgebäude der Stadt in die Zukunft weisen – als ein Zeichen von Offenheit, Flexibilität und Experimentierfreude. Alles andere wäre eine teure Posse.
Zum Thema:
„Gronau – die Vernunft des geometrischen Systems“ in der Bauwelt 40-41/2012
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