Hannover ist für umstrittenen Städtebau bekannt. Als verdichtetes Wohn-, Arbeits- und Einkaufszentrum beruht das Ihme-Zentrum auf einem städtebaulichen Konzept der Sechziger- und Siebzigerjahre: Mit etwa 125.000 Quadratmetern Nutzfläche umfasst das Objekt auch ein System von Aufenthaltsräumen unter freiem Himmel. Durch die unübersichtlichen Zugänge und die erhöhten Ebenen – die den Bezug zum Ufer der Leine kaum nutzen – gilt der Sockel als introvertiert. Nach mehreren gescheiterten Wiederbelebungsversuchen erregt der Riese aktuell wieder positive Aufmerksamkeit bei Nutzern und Architekturinteressierten. Irgendetwas ist dran an dem Konzept, das aktuell auch Santiago Calatrava in London umzusetzen plant. Vielleicht funktioniert die „Stadt in der Stadt“ ja doch, vielleicht ist es eine Frage des richtigen Maßstabes oder der richtigen Umsetzung?
Die kürzlich fertiggestellte Città del Sole in Rom soll mit demselben Ansatz die Identität des Stadtteils Tiburtino II stärken. Mit insgesamt 17.300 Quadratmetern ist die Anlage trotz struktureller Ähnlichkeiten um vieles kleiner als das Hannoversche Beispiel. Ein höherer und ein niedrigerer Baukörper sowie ein schwebendes Schiff mit Büros thronen über einem Sockel aus Ladengeschäften, einer Bibliothek, Treppen, Rampen, Wasserflächen und Plätzen. Die Architekten von Labics (Rom) sehen sich durchaus von der Vielseitigkeit der städtischen Räume der Umgebung inspiriert. Sie integrieren diese Räume über verschiedene Ebenen in ihrer heterogenen Gesamtstruktur und folgen damit ihrer Ansicht, dass Städtebau nicht „eine Abfolge einzelner Objekte“ sein, sondern „auf Systemen beruhen“ sollte.
Wie passt diese Struktur in das Bild der gewachsenen, ewigen Stadt? Auch in Rom gibt es Konversionsflächen. Die Città del Sole entstand auf dem Gelände eines ehemaligen Busdepots, das zum Teil in den Bau integriert wurde. Der Kontrast zwischen bröckelndem, farbigem Putz und der anscheinend alterungsresistenten Aluminiumverkleidung des Neubaus könnte kaum stärker sein. Trotz breiter Übergänge zur umliegenden „Bestandsstadt“, trotz abwechslungsreicher Tragstruktur und Fassade bleibt die neue Stadt ein in sich geschlossener Fremdkörper. Die öffentlichen Räume wirken künstlich. Das alltägliche, das wachsende Leben – und sei es nur in Gestalt von Bäumen und Pflanzen – scheint keinen Halt auf der glatten Gebäudeoberfläche zu finden. (dd)
Fotos: Marco Cappelletti, Fernando Guerra
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Jan | 15.02.2017 18:28 Uhrfrei
Ein schönes Projekt. Toll wie der Entwurf mit dem Bestand umgeht.
Toll auch die vielen Ecken und Zwischenräume, die den Raum vom öffentlich zu privat gliedern und den Nutzern erlauben sich in der Öffentlichkeit zurückzuziehen um unbeobachtet mal mit 12 die erste Zigarette zu rauchen oder mit der Freundin zu knutschen ohne, dass ihr Vater es mitbekommt.
Eine echte Bereicherung der Diversität im Kiez.