Das Thema „Schönheit“ war lange Zeit alles andere als modern. Nicht zuletzt im 20. Jahrhundert durfte Schönheit in der Architektur niemals Selbstzweck sein. Und doch hält sich der Begriff bis heute beharrlich, wenn es darum geht, eine gewisse ästhetische Qualität zu benennen. Oft wissen wir schließlich intuitiv, wenn wir etwas Schönes sehen – auch wenn diese Erfahrung immer höchst subjektiv bleiben muss. Unter Kuratorin Yael Reisner nimmt sich die Architekturbiennale Tallinn in diesem Jahr also eines noch immer tabuisierten Themas an. Vor Kurzem wurde das vollständige Programm der fünften Ausgabe mit dem Motto „Beauty Matters“ vorgestellt.
Reisner, die in London lebt und arbeitet, forscht schon seit Längerem zum Verhältnis von Schönheit und Architektur. Ihrer Meinung nach ist das Konzept von Schönheit gerade in der heutigen Zeit mit ihren vielen neuen Möglichkeiten zur automatischen Formgenerierung von entscheidender Bedeutung. Nicht zuletzt gelange nämlich über das Bedürfnis nach Schönheit die menschliche Dimension zurück in die digitalen Prozesse. Reisner führt außerdem aktuelle neurologische Forschungen und nicht zuletzt die Schönheitsdiskurse im Feld der Mathematik als Indizien dafür an, dass Schönheit zumindest teilweise eine objektive Basis hat – wenngleich vielleicht nicht in dem Sinne, dass es jemals die eine schöne Form wird geben können.
Neben Reisner sind Liina Soosaar und Barnaby Gunning als Co-Kuratoren für das Programm der Biennale zuständig. Dieses richtet sich sowohl an ein Fachpublikum als auch an eine breitere Öffentlichkeit. Gerade bei letzterer könnte die Ausstellung, die vom Estonian Centre for Architecture organisiert wird, mit dem diesjährigen Thema auf ein gewisses Interesse stoßen. Fünf Säulen tragen das Programm, das vom 11. September bis zum 17. November 2019 läuft. Da wäre zunächst die Hauptausstellung, die unter anderem Beiträge von Stars wie Sou Fujimoto ebenso wie von jüngeren Büros wie Space Popular umfasst. Zum kuratorischen Oberthema wird weiterhin eine Installation zu sehen sein, die aus einem Wettbewerb hervorgegangen ist. Ein Symposium und eine Konferenz im Rahmen der Eröffnungswoche sorgen zudem für akademische Vertiefung. Und stärker auf den lokalen Kontext bezogen ist die Ausstellung der Vision-Competition, die konkrete Projekte für den Stadtteil Kopli versammelt. Eine Präsentation internationaler Architekturschulen gibt der Biennale schließlich noch eine studentische Dimension.
Darüber hinaus wird unter der Ägide der estnischen Architektin Kirke Päss ein Satellitenprogramm stattfinden, das weitere Ausstellungen, Filmvorführungen und Vorlesungen versammelt. Highlights in dieser Sektion dürften unter anderem ein ortsspezifisches Musikprogramm und eine Performance-Installation mit dem Titel „Elusive Beauty“ sein. Auch hier ist deutlich die programmatische Ausrichtung der Biennale zu erkennen, sich dem kulturell ohnehin stark interessierten estnischen Publikum zu öffnen. Mit diesem Ansatz hat sich die Tallinn Architekturbiennale längst einen festen Platz im internationalen Ausstellungszirkus gesichert. (sb)
Beauty Matters: The Resurgence of Beauty
Laufzeit: 11. September bis 17. November 2019
Eröffnungswoche: 11. bis 15. September 2019
tab.ee
Zum Thema:
www.arhitektuurimuuseum.ee
Auf Karte zeigen:
Google Maps