Der alle vier Jahre verliehene Prix de Rome Architecture, ältester und prestigeträchtigster Preis der Niederlande für unter 35-jährige Architekt*innen geht in diesem Jahr an die aus der Ukraine stammende Lesia Topolnyk. Zum Thema „Healing Sites“ reichte sie den Beitrag „No Innocent Landscape“ ein. Er setzt sich mit dem Abschuss des Passagierfluges MH17 durch prorussische Separatisten im Jahr 2014 auseinander, bei dem alle 298 Menschen an Bord ums Leben kamen.
In ihrer ziemlich düster wirkenden, Gerüche, Farben und Klänge einbeziehenden Installation beschäftigt sich Topolnyk am Beispiel des ukrainischen Bergbaudorfes Hrabove – der Absturzstelle des Flugzeugs – damit, wie die Gestaltung von Räumen dazu beitragen kann, einschneidende Ereignisse zu verstehen und ihre Folgen zu beheben. Mithilfe verschiedener Erzähl- und Konstruktionstechniken legt sie offen, dass der Schauplatz des Attentats auch von illegaler Bergbauaktivität geprägt ist und veranschaulicht so das komplexe Zusammenspiel globaler und lokaler Geschichte.
„Lesia Topolnyk argumentiert, dass die Architektur in den aktuellen Konflikten keine Kontrolle mehr ausüben kann, indem sie sich auf ihre herkömmlichen Werkzeuge und Denkweisen verlässt“, schreibt die Jury in ihrer Begründung. Mit ihrem Projekt stelle sie ihre eigene Rolle als Architektin direkt in Frage und begreife das Chaos nicht als Verzerrung, sondern als einziges Mittel zum Erkenntnisgewinn. Ihre Installation schaffe einen Raum, „der nicht nur einen heilungsbedürftigen Ort darstellt, sondern selbst zu einem Ort der Heilung geworden ist“.
Nominiert für den Preis waren außerdem:
- Arna Mačkić, die mit „International Centre for Architectural Disaster“ das Den Haager Gebäude, in dem sich das UN-Kriegsverbrechertribunal bis 2017 mit Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien befasste zum „öffentlichen Zentrum für die kollektive Erholung von architektonischen Katastrophen“ transformiert;
- Dividual (Andrea Bit und Maciej Wieczorkowski), die in „Celebrating the unproductive: Spaces, structures and rituals of empowerment“ auf dem Gelände der im 19. Jahrhundert aktiven „Kolonie van Weldadigheid“ in Veenhuizen (Drenthe), einer Umerziehungs- und Arbeitsanstalt für Waisen und Arme, einen Bereich zu Ehren der Unproduktiven, Unrentablen und Nutzlosen anlegen;
- Studio KIWI (Kim Kool und Willemijn van Manen) mit „Grounds of [in]Justice: Healing trust and building compassion“, wo in denselben Büros, in denen niederländische Steuerbehörden mit falschen Rückforderungen gegen die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstießen, neue Rechtsgrundlagen geschaffen und das Vertrauen in die Regierung wiederhergestellt werden sollen.
Der vom Mondriaan Fonds im Auftrag des niederländischen Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft organisierte Preis wurde 2022 in Zusammenarbeit mit dem Creative Industries Fund NL und Het Nieuwe Instituut durchgeführt. Er ist mit 40.000 Euro dotiert und mit einem Residency-Aufenthalt am Het Nieuwe Instituut in Rotterdam verbunden. Die Arbeiten aller Nominierten sind noch bis zum 9. April 2023 ebendort zu sehen. Begleitend erscheint eine Publikation im Verlag Jap Sam Books.
(da)
Fotos: Aad Hoogendoorn
Zum Thema:
prixderome.nl hetnieuweinstituut.nl