Nun wird es also doch noch pünktlich fertig, also, mehr oder weniger. Als 2013 der Wettbewerb für das Privatmuseum Arter in Istanbul zugunsten des Büros von Nicholas Grimshaw (u.a. London) entschieden wurde, war die Eröffnung des Neubaus noch für 2016 geplant. Das daraus nichts wurde, hatte viele Gründe: Der Putschversuch 2015, die folgenden finanziellen und politischen Turbulenzen, hauptsächlich aber – wie Museumsdirektor Melih Fereli betont – hätten mehrere Änderungen der Planungsrichtlinien sowie die Komplexität des Entwurfs zu den Verzögerungen geführt. Man habe nicht schnell, sondern gut bauen wollen. Aber am heutigen 13. September 2019 wird das neue Arter im Stadtteil Dolapdere, kaum zehn Gehminuten vom Taksim entfernt, eröffnet. Und „pünktlich“ ist das trotzdem. Erstens, da die hinter dem Museum stehende Koç-Stiftung in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum feiert und zweitens, weil das Museum rechtzeitig zum Preview-Wochenende der 16. Istanbul Biennale startklar ist.
Sicher wird sich zur Eröffnung auch die politische Prominenz der Türkei im Glanz des neuen Gebäudes sonnen – denn sie glänzt tatsächlich, die Fassade. Sie besteht aus großen Fenstern, dazwischen und teilweise davor liegen Felder mit offenen, leicht gebogenen Elementen aus hellem Beton, die sich wie ein Flechtwerk um das Gebäude legen und ein wechselndes Spiel aus Licht und Schatten auf die Fassade legen sollen. Zum größten Teil jedoch ist die Hülle mit glasierten Keramikkacheln verkleidet, deren Glanz im Istanbuler Licht an Perlmutt erinnern soll. In jedem Fall hilft die abwechslungsreich gebrochene, glänzende Hülle dabei, die Ausmaße des Gebäudes und die tatsächliche Anzahl der Etagen zu kaschieren: 40 Meter hoch, 70 Meter breit, sieben Geschosse über und sieben unter der Erde. Das Arter hat die Dimension eines Kunst-Tankers.
Der Neubau würde auch die Dimensionen des sonst vor allem aus kleinteiligen Wohnhäusern bestehenden Stadtteils sprengen, stünde er nicht an der großen Durchgangsstraße Irmak und in einer Reihe von großen, neueren, architektonisch jedoch weitgehend belanglosen Büro- und Hotelgebäuden – städtebaulich führt Grimshaws Entwurf diese Reihe einfach fort, architektonisch ragt das freistehende Gebäude aus der Nachbarschaft deutlich heraus.
Transparenz und räumlicher Abwechslungsreichtum seien ihre Leitmotive gewesen, sagen Grimshaw Architects. Die möglichen Rundgänge durchs Haus werden immer wieder von Treppen, vertikalen Leerräumen (voids) und torgroßen Fenstern mit Ausblicken auf die Stadt begleitet. Eine „dynamische Serie von vielfältigen Räumen“ sei das Ziel gewesen, so Kirsten Lees, die als Partnerin bei Grimshaw für den Neubau hauptverantwortlich war. 18.000 Quadratmeter bietet der Neubau, davon über 4.000 Quadratmeter als reine Ausstellungsflächen auf sechs Etagen in sechs unabhängig bespielbaren gallerys mit unterschiedlichen Raumhöhen und einer Ausstellungsterrasse. Der Rest verteilt sich auf Foyers, Veranstaltungsräume, das zentrale Atrium, zwei große Auditorien, einen großen Museumsshop, das Bistro und die Bibliothek. Die Bestuhlung der beiden Auditorien kann jeweils komplett in den Boden versenkt werden, sodass die Räume für große Installationen genutzt werden können; hier zeigt sich Grimshaws altbekannte Freude an integrierten technischen Lösungen.
Die Sammlung des Arter basiert auf der privaten Sammlung der Familie Koç, eine der reichsten Industriellenfamilien der Türkei. Die sozial und kulturell ausgerichtete Vehbi Koç Foundation wurde schon 1969 gegründet, 2007 wurde sie Hauptsponsor der Kunstbiennale in Istanbul, 2010 eröffnete das erste Arter in einem kleinen, weißen Gebäude an der Istiklal-Straße in Beyoǧlu. Der gewaltige Sprung vom kleinen Arter 2010 zum großen Grimshaw-Arter 2019 zeigt auch das Wachsen der Koç‘schen Kunstsammlungen. Im neuen Arter werden erstmals alle Sammlungen der einzelnen Familienmitglieder zusammengeführt — das sind über 1.300 zeitgenössische Kunstwerke, darunter solche von Sigmar Polke, Mona Hatoum, Ayşe Erkmen, Francis Bacon oder Patricia Piccinini.
Einen Schwerpunkt im Arter bilden die vier Learning Studios, in denen Kurse, Meetings und Workshops zur Kunstvermittlung angeboten werden. Die öffentliche Bildungs- und Vermittlungsarbeit zu zeitgenössischer, internationaler Kunst sei deshalb so wichtig, so Direktor Fereli, weil sie in der Türkei kaum stattfindet. Die Gelder für Neubau und Sammlung wurden vollständig privat finanziert, die öffentliche Förderung in der Türkei interessiert sich eher für die Antike und volkstümliches Kunsthandwerk. „Private Sponsoren wie Koç füllen das kunstpolitische Vakuum“, schreibt Ingo Arend für DIE ZEIT, „wenngleich ihr Engagement von deutlichen Selbstwidersprüchen durchzogen ist. Einerseits produziert Koç Militärfahrzeuge und profitiert vom autoritären Regime. Andererseits verhilft die Familie der kritischen Gegenwartskunst zu deutlicher Sichtbarkeit und hält die Fahne der Moderne hoch.“
Als privat-soziales Kunstunternehmen wird Arter in Istanbul neben die beiden bereits bestehenden, ebenfalls privaten Unternehmen Istanbul Modern (bekommt derzeit einen spektakulären Neubau von Renzo Piano) und SALT treten – ein Triumvirat der zeitgenössischen, vollständig privatisierten Kunst. Ob das nun ein Zeichen für einen tiefergehenden Wandel in der Türkei ist, wie manche Beobachter glauben, oder doch nur ein etwas protziger Schimmer an der Oberfläche, bleibt abzuwarten. (fh)
Fotos: Cemal Emden, Hadiye Cangökçe, FluFoto, Cinan Küçük
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Davide | 14.09.2019 10:54 UhrShed
Ein groflächige, skulpturale Fassade, die dann aber nicht mal auf den Boden kommt. Dort zeigt sie sich als simple Glaskiste. Architektur für Bilder, nicht für Menschen. Ein Shed, dekoriert für Instagram.