Seit über 15 Jahren beschäftigen sich Thomas Fischer Architekten mit Alternativen zum herkömmlichen Schulbau. Drei Bauten konnte das Zürcher Büro realisieren. Konsequent setzen sie dabei auf kompakte Baukörper, bei denen die eigentlichen Klassenräume als weitgehend offene Lernlandschaft organisiert und als oberstes Geschoss über alle anderen Funktionen gesetzt werden. Im Sommer letzten Jahres eröffnete die Schulanlage Freilager in Zürich-Albisrieden. Unser Autor hat sich das Haus und dessen Nutzung angesehen.
Von Gregor Harbusch
Vor gut zehn Jahren startete die Entwicklung des Zürcher Freilagers zu einem Wohnquartier. Einst war das Areal im Quartier Albisrieden im Westen der Limmatstadt ein Logistikort. Architektonischer Zeuge dieser Zeit ist der von Pfleghard & Haefeli und Ingenieur Robert Maillart realisierte Gebäudekomplex aus den 1920er-Jahren, den Meili & Peter Architekten vor einigen Jahren aufstockten. Dieses 2016 abgeschlossene Umbauprojekt war die erste Fertigstellung im neuen Freilager. Es folgten eine Reihe Neubauten, die meisten von rolf mühlethaler architekten (Bern). Im vergangenen Jahr wurde nicht nur das letzte Wohnhaus fertig, sondern auch die bemerkenswerte Schulanlage Freilager von Thomas Fischer Architekten (Zürich).
Die strahlend weiße Schule mit ihren eleganten Sheds steht äußerst reizvoll in sanfter Hanglage zwischen Schrebergärten, dem pittoresken Bachwiesenpark samt einladendem Quartierszentrum und plätscherndem Bächlein, einem Altersheim und den neuen Wohnbauten. Sie wirkt geradezu wie der städtebauliche, architektonische und programmatische Abschluss und Kontrapunkt zur kompakten, autofreien und gehobenen Wohnquartierplanung des Freilagers.
Cluster, Teppich, Atelier
Der Name Schulanlage ist im ersten Moment etwas irreführend. Tatsächlich handelt es sich, abgesehen von einem kleinen Nebengebäude, um ein einziges Haus samt Außenanlagen (köpflipartner Landschaftsarchitekten, Luzern), das in seiner industriell-coolen Erscheinung geradezu auratisch in sich ruht und genau deshalb neugierig macht, mehr über das Innere erfahren zu wollen. Exakt 59,35 Meter Kantenlänge misst das Quadrat, über dem sich der Zweigeschosser mit seinen sechs charakteristisch gerundeten Sheds erhebt. Er bietet Platz für eine Primarschule (15 Klassen) sowie eine Heilpädagogische Schule mit drei Klassen. Insgesamt lernen hier 350 Schüler*innen.
Durch Eingänge an drei Seiten des Hauses gelangt man in die Schule. Gelbe Klinker dienen in den Fluren und der zentralen Halle als robuster Bodenbelag. Von hier aus blickt man in die Sporthalle hinab, neben der wiederum der einladende Teambereich liegt. Auch Mensa und Mehrzwecksaal – die mit Hilfe einer Faltwand zusammengeschaltet werden können – sind zentral im Erdgeschoss angeordnet. Hinzu kommen Bibliothek, Büroflächen, Lehrküche, Räume einer externen Musikschule sowie eine Schulschwimmanlage.
Zwei Treppenläufe führen in das Obergeschoss, in dem die Unterrichtsräume als vier Cluster organisiert wurden, zwischen denen wiederum zwei längliche Patios liegen. Prägendes Element sind die sechs geschwungenen Sheds, die eine veritable Atelieratmosphäre in das Obergeschoss bringen. Fünf Raumfachwerkbinder aus Stahl überspannen die teppichartig organisierten Unterrichtsflächen und bilden das konstruktive Gerüst dieser räumlichen Großzügigkeit. Abgesehen von den Stahlfachwerkbindern wurde das Obergeschoss als struktureller Holzbau realisiert. Die entsprechenden Oberflächen sorgen für eine gute Raumakustik, was insbesondere bei den Gemeinschaftsflächen der Cluster wichtig ist.
High-Tech und Lebendigkeit
Sieht man sich an einem normalen Unterrichtstag im Schulgebäude um, staunt man über die Nutzungsrealität zwischen High-Tech und entspannter Lebendigkeit. In der Pause schallt „It’s Raining Men“ aus den Lautsprechern, darunter wird gekickert. Vor der Mensa sind Absperrbänder und Airline-Trolleys platziert, an denen zwei Erzieherinnen mit Laptops den Check-in der Kinder abwickeln. Das gesamte pädagogische Personal kommuniziert mit Walkie-Talkies, die digitale Ausstattung der Unterrichtsräume ist augenscheinlich exzellent.
Trotz so viel Technik auf allen Ebenen war es für Thomas Fischer wichtig, das gesamte Obergeschoss nicht nur über die Sheds natürlich zu belichten, sondern auch natürlich zu belüften. Bezeichnenderweise geschieht dies technisch gestützt: Öffnet ein Lehrer in den Klassenzimmern eines der kleinen Bandfenster, sorgt ein Motor dafür, oben im Shed eine Klappe zu öffnen, um Querlüftung herzustellen. Hier wird einmal mehr klar: Die Nutzer*innen müssen dieses Haus aktiv nutzen, seine Möglichkeiten annehmen. Auf den Clustern gelingt dies offensichtlich. Doch nicht nur die Räume, auch Schüler*innen und Personal strahlen eine durchwegs positive Atmosphäre aus.
Nur der Umgang mit den Sheds muss vielleicht noch ein wenig geübt werden. Aus städtebaulichen Gründen sind diese nämlich so orientiert, dass teilweise am frühen Vormittag direktes Sonnenlicht in die Unterrichtsräume fällt. Bei starker Sonne lassen viele Nutzer*innen die Rollos herab, schalten das künstliche Licht an und vergessen, dass man bald wieder auf natürliches Licht setzen kann.
Künstliches Licht ist auch im Erdgeschoss nötig. Die Architekt*innen achteten hier zwar auf direkte Sichtbeziehungen, sodass man trotz der Tiefe des Baukörpers an allen Orten immer einen Blick nach außen hat. Im Planungsprozess ging die nicht nur räumlich, sondern auch pädagogisch wichtige Transparenz (Stichwort: Teamteaching und Aufsichtspflicht) jedoch ein Stück weit verloren, erklärt Fischer. Im Obergeschoss sei die jetzige Lösung durchaus in Ordnung, im Erdgeschoss gibt es aus seiner Sicht nun aber doch ein paar Wände zu viel.
15 Jahre Arbeit an neuen Schulformen
Es ist spannend, das realisierte Haus mit dem Ursprungsentwurf des einstufigen, anonymen und offenen Wettbewerbs nach SIA 142 zu vergleichen, mit dem sich die Architekt*innen 2016 gegen 111 konkurrierende Teams durchsetzen konnten. Die damaligen Visualisierungen zeigen sich räumlich ungleich radikaler und reduzierter. Bereits die Jury merkte freilich an, dass „vor allem bei den Innentrennwänden, aber auch bei der Fassade“ der Einsatz von Glas zu reduzieren sei. Die Gründe dieser Empfehlung waren Kosten, ökologische Nachhaltigkeit, Unterhalt und Betrieb. Auch auf Brandschutz und Baunormen verwies die Jury damals. Später kamen noch Änderungen im Raumprogramm hinzu.
Bauen ist immer ein Prozess. Bei einem solch ambitionierten Entwurf mehr als in anderen Fällen. Das Projekt war und ist jedenfalls robust genug, um sich nun als ein helles und großzügiges Haus zu zeigen, das zeitgemäße Pädagogik fördert und auch einfordert.
Mit der Schulanlage Freilager findet die über 15 Jahre dauernde Auseinandersetzung Fischers mit der Bauaufgabe Schule einen vorläufigen Schlusspunkt. Drei prototypische, ähnlich konzipierte Bauten konnten Fischer und sein Team in dieser Zeit realisieren. Vor zwei Jahren eröffnete die Sekundarschule in der Kleinstadt Laufen im Kanton Basel-Landschaft. Bereits 2018 ging die Primarschule Neuhegi in Winterthur in Betrieb.
Thomas Fischer Architekten zeichnen für die Projektierung bis inklusive der Ausführungsphase (SIA Phasen 31–51) verantwortlich. Die übergeordnete Gesamtleitung, das Baumanagement und die technische Ausführungsplanung wurden von den Zürcher Büros Confirm AG (SIA Phasen 31–53) zusammen mit Weber Hofer Partner (SIA Phasen 41–53) erbracht.
Fotos: Paulo dos Sousa
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