Postmoderne wohin man schaut. Der frische Blick auf und die kritische Neubewertung der Epoche schreiten voran. Diverse Ausstellungen (prominent etwa „Anything Goes“ in Berlin 2021) und Publikationen der letzten Jahre belegen dies. Und manchmal erwischt man sich ja auch selbst dabei, dass man plötzlich Bauten neu „sieht“, die man lange in einer Schublade abgelegt hatte.
Claudia Kromreis kürzlich (zweisprachig auf Deutsch und Englisch) erschienenes Buch Postmodern Non-Residential Berlin ist allen zu empfehlen, die Lust haben, die eigenen Blickgewohnheiten zu hinterfragen und über den Zuschnitt ästhetischer und historischer Schubladen nachzudenken. Auf knapp 200 Seiten zeigt die Autorin 30 Bauten – in großformatigen Fotos von Thomas Bomm und Manfred Hamm, konzisen Texten und je einem Grundriss im Maßstab 1:333. Keinerlei Überlastung durch Architekturtheorie. Stattdessen Lust an der Architektur und am (Wieder)Entdecken.
Damit folgt das Buch der Konzeption, die die Autorin zusammen mit den Fotografen bereits vor vier Jahren erfolgreich erprobt hatte. Damals erschien ein erstes Buch: Postmodern Berlin. Wohnbauten der 80er Jahre . Es stellte 30 Stadthäuser vor, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA 1987 im Westteil der Stadt entstanden.
Dieses Mal ist das Spektrum breiter. Die Auswahl umfasst auch Bauten im Ostteil der Stadt, etwa am Gendarmenmarkt, wo vor zwei Jahren Randbebauungen aus den 1980er Jahren unter Denkmalschutz gestellt wurden. Angesichts der breiten Auswahl stellt sich aber auch die Frage, welchen Postmoderne-Begriff die Autorin verfolgt. Kromrei diskutiert etwa die Tschechische Botschaft von Vera und Vladimir Machonin (1974–78) oder den aktuell viel diskutierten Mäusebunker von Gerd und Magdalena Hänska (1967–82) in ihrem Buch.
Möchte man diese beiden Bauten wirklich von der Schublade Brutalismus in die Schublade Postmoderne umordnen? Die Frage ist freilich falsch gestellt. Stilistische Schubladen waren noch nie eine gute Idee. Sie sind eine ausgesprochen schlechte angesichts der komplexen architekturtheoretischen Programmatik und der nicht weniger heterogenen Baupraxis, die man gemeinhin unter „postmodern“ subsumiert. Das macht der großformatige Band von Kromrei einmal mehr deutlich.
Text: Gregor Harbusch
Postmodern Non-Residential Berlin
Claudia Kromrei
Fotos von Thomas Bomm und Manfred Hamm
Gestaltung: Studio LZ
Deutsch/Englisch
192 Seiten
Niggli, Salenstein 2023
ISBN 978-3-7212-1019-4
49,90 Euro
Zum Thema:
Weitere Publikationen der letzten zwei Jahre zur Postmoderne: Im letzten Jahr erschienen zwei Bände zum postmodernen Manifest Learning from Las Vegas , dessen Veröffentlichung sich zum 50. Mal jährte. Ebenfalls im letzten Jahr erschien der (kostenfrei erhältliche!) Dekadenband zu den 80er Jahren in der Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz. Wer es theoretischer mag, dem seien die gesammelten Texte von François Burkhardt empfohlen. Ebenfalls brandneu: Der Band zur 2. Architekturbiennale in Venedig, die 1982 den globalen Süden aus postmoderner Perspektive zu fassen versuchte.
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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arcseyler | 30.08.2023 17:09 Uhr......
Die Postmoderne füllt ihren Horror Vacui mit dann doch toten Baukörpern. Wie zum Beweis.
Von Nietzsches Tod des göttlichen, zum Tod des körperlichen.
Von der geschlossenen körperlichen, zur offenen räumlichen Ordnung.
Dem Amor Vacui