Warum nicht mal mit den alten Griechen anfangen, wenn man über die IBA Berlin 1987 schreibt? „Der Fuchs kann vieles, doch der Igel eines nur.“ liest man auf der ersten Seite von „Postmodern Berlin. Wohnbauten der 80er Jahre“ von Claudia Kromrei. Der Satz stammt vom griechischen Lyriker Archilochos und ist Auftakt für einige ganz grundsätzliche ästhetische Überlegungen der Autorin, in denen – man ahnt es bereits – die Vertreter der architektonische Moderne als Igel und die Postmodernen als Füchse interpretiert werden.
Kromrei will die Postmodernisten jedoch nicht einfach als „schlaue Füchse“ adeln. Vielmehr zielt sie darauf, die architektonische Vielfalt der IBA aus dem Denken in historischen Kategorien zu befreien und als ein philosophisch-ästhetisches Phänomen zu würdigen. Es geht ihr dabei nicht so sehr um die Überwindung der Moderne, sondern um manieristische Ansätze der Transformation und Radikalisierung – wie sie mit Rückgriff auf Umberto Eco schließt.
Das klingt nun weitaus trockener und langatmiger, als es sich tatsächlich liest, denn Kromrei braucht nur gut zwei Seiten für ihren anregenden Gedankengang. Dabei schaut sie durchaus differenziert auf die Ergebnisse der Postmodernisten, etwa wenn davon die Rede ist, dass die Häuser „vertraut und befremdlich“ wirken, „weil Zitate unangepasster und kühner ausfallen können als das Zitierte, weil beim Kopieren gelegentlich eben Fehler passieren, weil, was einmal keine Maske war, Jahrzehnte, Jahrhunderte später eine ist und weil Ironie mal wohl, mal aber auch nicht als eine solche verstanden wird.“
30 Stadthäuser, die im Rahmen der IBA entstanden, stellt Kromrei anschließend vor. Alle wurden von Thomas Bomm und Manfred Hamm neu fotografiert. Es wäre völlig falsch, Postmodern Berlin als großformatigen Architekturführer zu verstehen. Dafür sind viele der Projekttexte zu gehaltvoll. Kromrei beschreibt nicht nur, sondern analysiert und interpretiert auf überzeugende Weise. Ihre Texte sind konzise und machen Spaß. Einziger Wermutstropfen: Zu fast allen Häusern wird nur ein einziger Grundriss im Maßstab 1:333 gezeigt, was der räumlichen Komplexität vieler Projekte nicht ganz gerecht wird. Eigentlich hätten es die Macher des Buches wissen müssen: Das „Less is more“ eines modernen Igels wie Mies van der Rohe war hier nicht ganz angebracht.
Dass Kromrei eine begeisterte Würdigung Berliner Stadthäuser geschrieben hat, muss auch vor dem Hintergrund des kürzlich gescheiterten Projekts der Werkbundstadt Berlin begreifen, an dem sie maßgeblich beteiligt war. Auch dort setzte man auf die Potentiale des individuell gestalteten Stadthauses im klassisch gefassten Straßenraum. Allein schon beim Durchblättern von „Postmodern Berlin“ wird schmerzhaft deutlich, wie bedauerlich das Scheitern der Werkbundstadt ist – selbst wenn man über das Nachfolgeprojekt von Christoph Ingenhoven, an dem Kromrei beratend ebenfalls beteiligt ist, noch nichts genaues weiß. Wie gerne hätte man sich in ein paar Jahren mit dem Buch in ein Café der eben fertiggestellten Werkbundstadt gesetzt und mit der Autorin kritisch über Stadthäuser damals und heute diskutiert.
Text: Gregor Harbusch
Postmodern Berlin. Wohnbauten der 80er Jahre/Residential Buildings of the 80s
Claudia Kromrei
Fotos von Thomas Bomm und Manfred Hamm
176 Seiten
Deutsch/Englisch
Niggli Verlag, Salenstein 2019
ISBN 978-3-7212-0987-7
49,90 Euro