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01.03.2019
Buchtipp: Öffentlicher Raum
Pollerforschung
Merkwürdige Dinge beobachtete Helmut Höge im Kreuzberg der späten 1980er Jahre: Die Poller vermehrten sich im Stadtbild. Was mit einem Blick aus dem eigenen Wohnzimmerfenster anfing, entwickelte sich zur weltweit (Deutschland, Ungarn, Hollywood...) angelegten psychogeografischen Studie: Der freie Autor und Aushilfshausmeister bei der taz begann, das Um-Sich-Greifen der Verkehrsbegrenzungs-Pfähle und die politische Ökonomie hinter dem Phänomen akribisch in seinem Blog zu dokumentieren. Seine Pollerforschung, 2010 erstmals in gebundener Form erschienen, liegt nun in ihrer erweiterten, aktualisierten Neuauflage vor.
Höges teils zoologisch anmutende Beobachtungen und sein investigativer Starrnacken entlarven den laut Walter Momper “Kreuzberger Penis“ genannten Wellmann-Standard-Poller und seine Artgenossen als „stumme Polizisten“: Als Signifikanten des technokratischen Denkens. Aber sie beschreiben auch – sehr unterhaltsam – den Widerstand, der den als Straßenmöbel klassifizierten Ordnungsinstrumenten durch Aneignung entgegengebracht wird. Höge nutzt dabei viele Anführungszeichen, die Message findet sich bei ihm meist zwischen den Zeilen. Oder entsteht allein durch die überwältigende Anzahl der Pollerbilder, die er über die Jahre in seinem Archiv zusammengetragen hat.
Die Lesenden erfahren so einiges: Vom ökologischen Nutzen fest installierter Wegsperren, zu deren Füßen sich zartes Grün seinen Weg durch den Straßenbelag bahnt. Von der Kunst der Hausmeister, die auf schildbürgerhafte Weise versuchen, dem allgemeinen Chaos urbaner Situationen Einhalt zu gebieten. Von der Entdeckung der Langsamkeit durch Speed-Breaker, die sich nicht wie die rar werdenden Spielstraßenschilder an die soziale Kompetenz, sondern an den Eigennutz der Autobesitzer richten. Und davon, dass die Nachwendezeit aufgrund des vermehrten Trabi-Aufkommens ein Umpollern der auf breite West-PKW zugeschnittenen Sperrpfosten erforderlich machte. Es wird verpollert, weggepollert und sanft entpollert in diesem Buch – und, da nicht nur die bezirklichen Tiefbauämter es tun, sondern beispielsweise auch die Feuerwehr, Gartenbauämter und Polizei, bisweilen auch überpollert.
Philipp Goll, Redaktionsmitglied der Zeitschrift Kultur & Gespenster und schon länger mit Pollerforschung befasst, initiierte die Wiederauflage. Das Thema ist heute aktueller denn je: In Zeiten, in denen sich ganze Stadtteile in Sekundenschnelle computergesteuert abriegeln lassen, in denen die Furcht vor dem Terror einen ganzen Geschäftszweig der LKW-Abwehr-Logistik erblühen lässt und der Zugang zu öffentlichen Großveranstaltungen an Hochsicherheitstrakte erinnert, schärft dieses Buch den Sinn fürs große Ganze durch den Blick aufs Detail – und „apolliert“ an die menscheigene Vernunft.
Text: Kathrin Schömer
Pollerforschung
Helmut Höge
Hg. von Philipp Goll
440 Seiten
adocs, Hamburg 2018
ISBN 978-94-325-320-7
28 Euro
Höges teils zoologisch anmutende Beobachtungen und sein investigativer Starrnacken entlarven den laut Walter Momper “Kreuzberger Penis“ genannten Wellmann-Standard-Poller und seine Artgenossen als „stumme Polizisten“: Als Signifikanten des technokratischen Denkens. Aber sie beschreiben auch – sehr unterhaltsam – den Widerstand, der den als Straßenmöbel klassifizierten Ordnungsinstrumenten durch Aneignung entgegengebracht wird. Höge nutzt dabei viele Anführungszeichen, die Message findet sich bei ihm meist zwischen den Zeilen. Oder entsteht allein durch die überwältigende Anzahl der Pollerbilder, die er über die Jahre in seinem Archiv zusammengetragen hat.
Die Lesenden erfahren so einiges: Vom ökologischen Nutzen fest installierter Wegsperren, zu deren Füßen sich zartes Grün seinen Weg durch den Straßenbelag bahnt. Von der Kunst der Hausmeister, die auf schildbürgerhafte Weise versuchen, dem allgemeinen Chaos urbaner Situationen Einhalt zu gebieten. Von der Entdeckung der Langsamkeit durch Speed-Breaker, die sich nicht wie die rar werdenden Spielstraßenschilder an die soziale Kompetenz, sondern an den Eigennutz der Autobesitzer richten. Und davon, dass die Nachwendezeit aufgrund des vermehrten Trabi-Aufkommens ein Umpollern der auf breite West-PKW zugeschnittenen Sperrpfosten erforderlich machte. Es wird verpollert, weggepollert und sanft entpollert in diesem Buch – und, da nicht nur die bezirklichen Tiefbauämter es tun, sondern beispielsweise auch die Feuerwehr, Gartenbauämter und Polizei, bisweilen auch überpollert.
Philipp Goll, Redaktionsmitglied der Zeitschrift Kultur & Gespenster und schon länger mit Pollerforschung befasst, initiierte die Wiederauflage. Das Thema ist heute aktueller denn je: In Zeiten, in denen sich ganze Stadtteile in Sekundenschnelle computergesteuert abriegeln lassen, in denen die Furcht vor dem Terror einen ganzen Geschäftszweig der LKW-Abwehr-Logistik erblühen lässt und der Zugang zu öffentlichen Großveranstaltungen an Hochsicherheitstrakte erinnert, schärft dieses Buch den Sinn fürs große Ganze durch den Blick aufs Detail – und „apolliert“ an die menscheigene Vernunft.
Text: Kathrin Schömer
Pollerforschung
Helmut Höge
Hg. von Philipp Goll
440 Seiten
adocs, Hamburg 2018
ISBN 978-94-325-320-7
28 Euro
Zum Thema:
Zur Einstimmung sei dieses Crashtest-Video empfohlen.
Kommentare:
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Katalogcover des größten deutschen Poller-Herstellers Wellmann. Mit diesem Exemplar fing alles an...
„Diesen gewissermaßen staatlichen Poller schützte der Parkplatzwart […] noch einmal sehr umsichtig mit einem Privatpylonen. […] ‚So müssen Staatsgewalt und Bürger zusammenarbeiten.‘“
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