Prestigeträchtige Neubauten waren in den letzten Jahrzehnten in der Volksrepublik China oft die Domäne internationaler Büros. Beim vergleichsweise jungen Trend zur Umnutzung alter Industriebauten haben im Land hingegen oft lokale, jüngere Büros Maßstäbe gesetzt – und das mit O-office, Vector Architects oder Lacime durchaus im globalen Kontext. Mit dem jüngsten Projekt von gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner für Shanghai dürfte sich diese Generalisierung allerdings nicht mehr halten lassen. Nach einem Wettbewerbsgewinn werden die Architekt*innen mit Hauptsitz in Hamburg nämlich im Bezirk Baoshan eine alte Edelstahlfabrik in eine Kunsthochschule umwandeln.
Der Bestand mit seiner stattlichen linearen Ausdehnung stammt aus den 1980er Jahren. Rund 860 Meter lang ist die Hallenstruktur. Als Mittelpunkt eines neuen Kunstquartiers soll sie in Zukunft bis zu 4.000 Studierenden und 600 Lehrkräften Platz bieten. Das Projekt umfasst 220.000 Quadratmeter Bruttogrundfläche und wird für die Shanghai Academy of Fine Arts (SAFA) entwickelt, die wiederum Teil der Shanghai University ist. Neben Platz für Lehre und Ateliers wird der Hochschulbau ein öffentlich zugängliches Forum mit Gastronomie und Retail-Flächen, eine Bibliothek, Sporteinrichtungen, ein Museum und weitere Ausstellungsflächen umfassen.
Für ihr Projekt sehen das Team um Meinhard von Gerkan, Nikolaus Goetze und Magdalene Weiss ein ebenso simples wie räumlich wirkungsvolles Prinzip vor. Im Querschnitt wollen sie die Mitte freiräumen und dort unter dem hohen Dach öffentliche Programme platzieren. Diese wollen sie wiederum links und rechts des zentralen Korridors durch mehrgeschossige Einbauten flankieren. Eingestellte Rahmen aus Cortenstahl sollen dabei für eine ebenso kongeniale wie feinsinnig ironische Ergänzung des Bestands sorgen: Rost in der Edelstahlfabrik. Die Rahmen sind ein ästhetisches Element, sie werden aber voraussichlich zugleich auch zusätzliche Lasten aufnehmen, die durch eine zweite Dachhaut entstehen. Die Tragwerksplanung wurde maßgeblich vom Stuttgarter Büro schlaich bergermann partner betreut.
Über diese internen Interventionen hinaus wollen die Architekt*innen das langgezogene Volumen an mehreren Stellen unterbrechen, um Fußgängern ebenso wie Fahrzeugen Durchlass zu gewähren. Aus der visualisierten Vogelperspektive lässt sich auch gut die Transparenz erkennen, die sich das Projektteam für die neue Hülle wünscht. Zurück am Boden fühlt man sich außerdem beim hangartigen Hauptzugang der Akademie an die Eingangssituation von Herzog & de Meurons geplanter Berliner Scheune erinnert. (sb)
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latimer | 05.07.2021 18:57 UhrRost
Der Vergleich mit der Scheune von H&DM führt komplett in die Irre. Denn Umbauten von Industriehallen gibt es schon lange. Da ergeben sich meist hochspannende Architekturen und sie sind eine sinnvolle Alternative zum Abriss - sowohl inhaltlich, als auch im Sinne einer positiven Nutzung grauer Energie.
Man könnte vielleicht eher sagen, dass H&DM mit ihrer Kulturscheune auf einen schon lange fahrenden Zug aufgesprungen sind. In gewisser Weise täuschten sie mit ihrer gebauten Einfachheit Nachhaltigkeit und Effizienz vor (von der Jury und Stadt sich gleichermassen haben blenden lassen), wo aber am Ende leider eher die Verschwendung von Raum (und Geld) stand.
Freilich muss in Shanghai die Frage gestellt werden, ob man die Industriebauten nicht im Laufe des Bauprozesses mehr oder weniger neu aufbaut - was in China nicht selten passiert - und damit den Nachhaltigkeitsgedanken ebenfalls ad-absurdum führt.
Und es stellt sich auch die Frage, ob Kunststudenten in dieser gigantischen Raumfolge, die eher an ein riesiges Museum erinnert, wirklich aktuelle Kunst machen können und wollen - oder dürfen ...