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20.12.2016

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Das andere Wohnexperiment

Peter Salter in London


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Fällt der Begriff Wohnexperiment, denkt man heutzutage an fließende Grundrisse, neue Lebensmodelle, Cluster-Wohnungen und ähnliche Formen neu gedachter Offenheit. Doch mit Blick auf das neue Projekt des britischen Architekten Peter Salter in London wird deutlich, dass der Begriff Wohnexperiment auch ganz anders verstanden werden kann. Vier Häuser hat Salter im gehobenen Viertel Notting Hill um einen kleinen Innenhof gruppiert, die als Manifestation eines introvertierten, wenn nicht gar eskapistischen Lebensentwurfs interpretiert werden können. Salter ist in Großbritannien vor allem als Lehrer bekannt. Dreizehn Jahre unterrichtete er an der Architectural Association in London – immer mit Fokus auf die architektonischen Beziehungen von Material und Poesie. Später war er an der University of East London, seit 2006 lehrt er in Cardiff. Gebaut hat Salter wenig. Walmer Yard ist sein erstes realisiertes Projekt in Großbritannien. Sieben Jahre arbeitete er an dem ungewöhnlichen Ensemble.

Zur Straße zeigt sich das Projekt noch vergleichsweise konventionell. Sicherlich: Die etwas manierierte, horizontale Verschalung des Erdgeschosses in Sichtbeton fällt auf, doch die beiden Obergeschosse mit ihrem grauen Rauputz verraten nichts von dem, was weiter hinten im Grundstück passiert. An der dominierenden Garagenzufahrt vorbei, führt eine schmale Rampe in den Innenhof der Gebäudegruppe hinauf. Üppig im Formalen und im Materialeinsatz, fungiert der Hof vor allem als atmosphärisches Außen zu den introvertierten Wohnungen. Die Volumen scheinen sich dabei förmlich in den Hofraum hineinzuschieben. Auffälligstes Element in diesem Spiel von Halböffentlichkeit und Privatheit sind die schweren Fensterläden aus goldbraun schimmerndem Holz, die klar anzeigen, dass es hier um eine ganz eigene Art von Privatheit geht.

Das Innere der Häuser feiert den Rückzug ins Private in verschwenderischer Fülle. Die Baukörper verfügen über vier Ebenen, ihr Grundrisse sind verschachtelt und wirken beinahe labyrinthisch. Doch durch die geschickte Setzung der Türen und einzelne, veränderbare Wandteile, können unterschiedliche Grade der Offenheit im Grundriss realisiert werden. Die Raumzuschnitte selbst sind unregelmäßig, überall tauchen polygonale und bergende Formen auf. Einer der vielen extravaganten Höhepunkte sind die „Jurten“ auf der obersten Ebene – ganz in Holz gefasste, gerundete Räume mit Vorhängen aus gewobenem Kupfer, die sich an den traditionellen Zelten der zentralasiatischen Nomaden orientieren. In den gerundeten Badezimmer-Kapseln und Treppenhaus-Ovalen klingt aber auch eine ganz andere Referenz an, nämlich das House of the Future von Alison und Peter Smithson, das diese 1956 vorstellten und bei denen Salter in den Siebzigerjahren arbeitete. Auch die umfassende Durchgestaltung der Interieurs erinnert konzeptionell an das Experimentalhaus der Pioniere des britischen Brutalismus. Doch Salter geht mit Materialisierung und Detaillierung, den sensorischen Qualitäten und der hochwertigen handwerklichen Ausführung seines Projekts einen völlig anderen, eigenständigen Weg. Alles ist genau durchgeplant, Wohnen wird zum intensiven Alltagserlebnis, der Raum zur poetischen Kristallisation minutiös durchdachter Vorstellungen des Architekten. Dunkel, beinahe ein wenig erdrückend wirken viele der Räume auf den Bildern der Architekturfotografin Hélène Binet. Das Haus wird zum dichten Wohnerlebnis, das den Nutzer letztendlich auch herausfordert.

Der Luxus des Wohnens korrespondiert mit einem Luxus des Entwerfens, das sich wenig um Kosten und Funktionalität schert, sondern stattdessen in passionierten Handzeichnungen das Projekt in all seinen Feinheiten und Detaillierungen entwickelt. Ein solcher Ansatz muss vorfinanziert werden, weshalb wohl auch der Projektentwickler Crispin Kelley namentlich als Mitglied des Projektteams genannt wird. Seine Firma Baylight Properties hat einen gewissen Hang zu architektonisch hochwertigen Projekten, doch Walmer Yard dürfte auch für Kelley ein Experiment mit ungewissem Ausgang sein. Nicht zuletzt die handgezeichneten Pläne und die aufwendigen Illustrationen machen klar, dass sich Salter mit seiner Arbeitsweise weit außerhalb des Mainstreams bewegt. Das Projekt scheint wie aus der Zeit gefallen, vielleicht auch wie die Vorahnung eines ganz eigenwilligen, zukünftigen Wohnens von Eliten, die sich in luxuriöse Materialien und ein komplett durchgestaltetes Interieur zurückziehen. Hier kann man sich von den Zumutungen der Außenwelt abschotten und sich stattdessen in einem sensorischen Raumexperiment verlieren. (gh)

Fotos:
Hélène Binet


Zum Thema:

www.walmeryard.co.uk


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Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

6

Andreas K aus HH | 21.12.2016 19:11 Uhr

Herzlichen Dank...

...für das Zeigen dieser sehr schönen und inspirierten Zeichnungen.
Bitte mehr davon; evtl. würde ja P. L. Wilson auch einige von seinen sehr schönen Handzeichnungen zeigen wollen ;-)

5

Archi Tekt | 21.12.2016 14:36 Uhr

Hübsch gezeichnet

Ja, die Handzeichnungen haben Charme. Habe selbst immer gerne von Hand gezeichnet und die schnelle Skizze hilft auch heute noch oft :)
@ Rotho: ein klein wenig widersprechen muss ich aber: Aus meiner Sicht ist es nicht Handzeichnung vs. Computersimulation, sondern Handzeichnung + Computersimulation.
Der Compi schafft schlicht neue Möglichkeiten - die parametrische Gestaltung würde von Hand nicht stattfinden und ihre Berechtigung hat sie allemal!
Banales mit dem Compi aufzuplustern, da stimme ich zu - das ist seelenlos (war aber handgezeichnet auch nicht besser).
Zum Objekt: sicherlich sind die Details ebenso liebevoll umgesetzt wie die Zeichnungen selbst. Im Grundtenor sind mir die Innenräume aber viel zu dunkel - eine Stimmung die ich selbst nicht gerne mag.
Bei den Preisen in Notting Hill wird sich das aber sicherlich trotzdem als "extravagant" trefflich vermarkten lassen.

4

remko | 21.12.2016 09:16 Uhr

...

die Zeichnung erinnern mich an mein Studium - vor gefühlten 100 Jahren

3

paul hufschmied | 21.12.2016 08:48 Uhr

...

danke für den kommentar rotho. dem ist nichts hinzu zu fügen.

2

Er&Ich | 20.12.2016 19:17 Uhr

Poesie gebaut

Danke für diesen wunderbaren Beitrag und ebensolchen Kommentar von rotho.
Vermutlich altmodisch, aber so sollte es sein:
Handarbeit und Skizzen auf Papier für die Idee und deren Vermittlung
Computer für die Konstruktion und die Realisierung (ohne geht's ja wohl nicht mehr)
Ein fröhliches Weihnachtsfest und guten Rutsch der Redaktion und den Lesern

1

rotho | 20.12.2016 17:27 Uhr

poesie gebaut

Beim Anblick der Zeichnungen und Illustrationen geht mir als Gestalter wie man so schön zu sagen pflegt, das Herz auf. Wozu braucht man Computer? Sicherlich nicht um Ideen zu vermitteln oder darzustellen. Das Traurige an der Geschichte ist, Architekten können das nicht mehr – zeichnen, eine Idee mit den Händen und Papier visualisieren. Wie verloren, banal und spröde sind Computerzeichnungen gegen derartig ästhetische Zeichnungen und was können die dann vermitteln? Peter Salter hat es gebaut, das was er gezeichnet hat. Dieser Beitrag ist so ziemlich der Beste der letzten 15 Jahre, denn hier geht es um Architektur, wirklich einmal Architektur, von der Linie bis zum Bauwerk.

 
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