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20.03.2024
So wohnt es sich im Wabenhaus
Peter Haimerl Architektur in München
In der Bauphase rief das Wabenhaus wahlweise Neugier oder Skepsis hervor, inzwischen sind die Waben bewohnt. Wie sich das anfühlt? Das wissen jene am besten, die sie nutzen. Ein Besuch vor Ort.
Von Sabina Strambu
2020 erwarb die Genossenschaft Wogeno eines der letzten Grundstücke im 4. Bauabschnitt der Messestadt Riem. Das Neubaugebiet im äußeren Osten von München wächst seit über zwei Jahrzehnten zu einem Quartier für 16.000 Menschen und 10.000 Arbeitsplätzen heran. Riem sei nicht „the place to be,“ sagt eine junge Bewohnerin des Wabenhauses. In ihrem neuen Zuhause fühlt sie sich dennoch sehr wohl.
Das Projekt ist als Groß-WG gedacht, dies war „Teil unseres Konzeptes bei der Bewerbung auf das Grundstück und ausschlaggebend für den Zuschlag“. So beschreibt die Wogeno ihr im Herbst 2023 fertiggestelltes Projekt. Auf ihrer Website erklärt sie weiter: „Wir haben uns für das Baufeld WA10 vorgenommen, einen besonderen städtebaulichen und architektonischen Beitrag zu leisten.“ Dem Auftrag widmete sich Peter Haimerl . Architektur (München).
Die Wabe als Raumform
Die gestapelten Waben in Riem sollen ein Statement gegen die Schachtel-Architektur der Umgebung sein. Mit ihrem hexagonalen Querschnitt können die Räume aber durchaus mehr als nur anecken – etwa eine höhere Flächenausnutzung generieren. Eine Idee, die nicht neu ist: Abgesehen von der struktureffizienten und materialsparenden Bauform im Tierreich sowie zahlreichen Adaptionen im Ingenieurwesen, der Wissenschaft oder im Industrie- und Produktdesign, gab es auch in der Architektur bereits ähnliche Formexperimente. Doch was das Riemer Wabenhaus etwa von den Luxusapartments auf den Bahamas von BIG, von den Honeycomb Apartments von OFIS arhitekti im slowenischen Küstenstädtchen Izola oder dem Entwurf für das Hive Project von Gianluca Santosuosso Design unterscheidet, ist die Ausrichtung der Waben. Denn die Seitenwände sind bei Peter Haimerl nicht senkrecht, und das ist der Clou.
Cluster und Himmelsleiter
Sein Büro baute auf dem besagten Riemer Grundstück mit einer Fläche von 2.162 Quadratmetern ein Ensemble aus zwei Häusern: Das eine, genannt Gartenhaus, ist ein konventioneller Riegel entlang der Den-Haag-Straße mit Platz für 15 Familienwohnungen à 4–5 Zimmern. Das Wabenhaus ist diesem westlich quergestellt und flankiert den Quartiersplatz.
Von der Schmalseite aus erschlossen, zieht sich hier eine gerade Treppe, die sogenannte Himmelsleiter, über alle Schrägen hinweg. An jedem Zwischenpodest gehen beidseitig Eingänge zu den Cluster- und Einzelwohnungen bzw. Wohngemeinschaften ab. Am Ende der ersten Himmelsleiter befinden sich eine große Gemeinschaftsküche und ein gemeinsames Wohnzimmer, das über einen Laubengang und eine Gebäudebrücke auch die Verbindung zum Gartenhaus herstellt. Am Ende des ersten Treppenflurs schließt die gegenläufige, zweite Himmelsleiter an, die die oberen Waben erschließt und nach einem letzten Wendepodest auf die gemeinsam nutzbare, kleine Dachterrasse führt.
Im Sockelbereich sind ein Waschraum, ein „Toberaum“, ein Kinderwagenraum und ein Gästeapartment untergebracht. Auch wird es bald eine von den Bewohner*innen betriebene Fahrradwerkstatt und einen Quartiersladen geben. Ein Garten für das Ensemble sowie eine Tiefgarage mit neun Stellplätzen gehören außerdem zum Programm.
Eine Form, die Kreativität provoziert
Jede Wabe ist im Querschnitt gleich dimensioniert. Die „gestauchte“ Form mit einer Raumhöhe von 2,65 Metern und spitzen Winkeln von 36,2 Grad in den Seitennischen habe sich hinsichtlich der Neigung als perfekt erwiesen, so Haimerl. Für die Nischen hat das Büro die „Dreiecke“ entwickelt, die als Zwischenstufe, Stauraum, Stellfläche oder Podest für Möbel dienen können. Spezielle Möbeleinbauten für die Schrägen – sei es ein Bett, eine Liegelandschaft, ein Regal oder ein ausziehbarer Tisch – sind für die Bewohner*innen optional. „Wir versuchen alle, kreativ mit dieser Wabenform umzugehen, jeder bastelt ein bisschen an seinen Einrichtungsgegenständen. Die Form provoziert auch Kreativität“, erklärt die junge Bewohnerin dazu.
Gerade Wände sind durchaus vorhanden, jede Wohnung bietet auch Platz für einen eigenen Schrank oder ein eigenes Bett. Doch manche verzichten freiwillig. Wie es sich anfühlt, in der Wabe zu wohnen? „Gut! Das Beste ist tatsächlich das Schlafen auf dem erhöhten Bett und der Blick, wenn man aufwacht.“ Was neben dem zahlreich vorhandenen Stauraum und der Multifunktionalität der Möbelelemente sofort auffällt: wie hell die Räume sind. Nicht alle Wohnungen sind durchgesteckt, jede Wabe ist jedoch über ihre gesamte Breite verglast.
Dem außergewöhnlichen Raumgefühl stimmt eine Nachbarin uneingeschränkt zu. Ihre nur knapp 38 Quadratmeter große Wohnung zieht sich über zwei Waben hinweg. „Ich fühl mich nicht beschränkt, ganz im Gegenteil“, erklärt sie. „Der Raum wirkt viel größer, das hat mich überrascht.“ Weiter erklärt sie: „Ich bin gerne hier und bin gespannt, wie es sich weiterentwickelt.“ Worin sich beide Bewohnerinnen noch einig sind: das Konzept einer großen Wohn- und aktiven Hausgemeinschaft funktioniert. „Man merkt, dass die Gemeinschaftsräume wichtig sind, sie sind ja auch Teil des Genossenschaftsgedankens“, sagt die eine.
Vom Prototypen zur Modularität?
Dank parametrischer Designmethoden und 3D-Simulation seien Entwurf und Clusteranordnung bzw. das Erschließungskonzept extrem schnell vonstattengegangen, erklärt Peter Haimerl. Deutlich verzögert worden sei die Fertigstellung durch die bekannten Umstände der Baubranche in den letzten Jahren. Zu erheblichen Baukostensteigerungen äußern sich weder Bauherr noch Architekt. Für 12,50 Euro Miete pro Quadratmeter lässt sich in dem als Konzeptionellen Mietwohnungsbau (KMB) geförderten Haus wohnen. Der KMB ist eines der Münchner Instrumente für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums.
Peter Haimerl will indessen seine Wabenidee skalieren. Ziel sei dabei unter anderem, die vielen Schnittstellen, die bei diesem Prototyp noch vonnöten waren, durch Modularisierung zu reduzieren. Außerdem könnte etwa eine Struktur aus Betonrippen mit einer Ausfachung aus Erd-Lehm-Werkstoffen den Materialverbrauch deutlich minimieren. „Wir müssen den Bau revolutionieren und gute Lösungen multiplizieren. Dies geht nur mit Hightech, KI und Industrie. Ich will die Wabe mannigfach,“ sagt Haimerl.
In Summe zeigt sich in Riem ein mutiges Wohnexperiment, von denen es im Angesicht heutiger Möglichkeiten weit zu wenige gibt. Es ist ein Bau, auf den Planungsteam, Genossenschaft und Bewohnende durchaus stolz sein können.
Fotos: Edward Beierle
Zum Thema:
Sein Credo: „Alles was ich denken kann, kann ich bauen“ hat Peter Haimerl bereits mehrfach unter Beweis gestellt – sei es in Blaibach, in Lichtenfels, in Lichtenberg oder am Schedlberg.
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Das Wabenhaus flankiert einen öffentlichen Platz im 4. Bauabschnitt der Messestadt Riem.
Gebaut wurde in Massivbauweise mit Infraleichtbeton für den Sockel, Ortbeton und Betonhalbfertigteilen für die Wabengeschosse.
Die über die gesamte Breite verglasten Waben messen 6,65 Meter.
Zwischenpodeste und optionale, maßgefertigte Möbeleinbauten sind Teil des Konzepts. Frisch bezogen beginnt ein „spielerisches Ausprobieren“ mit der Einrichtung, wie eine Bewohnerin erzählt.
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