Schon der Titel der Reihe „Fröhliche Wissenschaft“ des Berliner Verlags Matthes & Seitz macht deutlich, dass hier die tiefgreifenden Themen der Geisteswelt etwas leichter angegangen werden. So wenden sich auch Violeta Burckhardt und Günther Vogt in ihrem Essay Paradise Now. Die neuen Grenzen des Gartens mit geradezu unterhaltsamer Unbeschwertheit einer eigentlich recht schweren Materie: den Trennungslinien zwischen Natur und Kultur, die sich im Anthropozän zunehmend verschieben.
Mit Bewunderung für die manchmal unberechenbaren Bewegungen der Natur in dieser menschengemachten Welt durchstreifen die beiden praktizierenden Landschaftsarchitekten – Günther Vogt ist Gründer der international tätigen Vogt Landschaftsarchitekten, Violeta Burckhardt eine Mitarbeiterin seines Berliner Büros – in diesem bekömmlichen Aufsatz die Gärten des europäischen Kontinents, von der unterirdischen Saatgutbank auf Spitzbergen bis zu einer verstrahlten Wildnis in der Sperrzone von Tschernobyl. Dabei ist ihr Begriff des Gartens ein weit gefasster: „Der Garten ist ein Denkmodell, in dem wissenschaftliches und mythisches Denken aufeinandertreffen. So gewendet kann der Garten zu einem Instrument zur Entdeckung unserer Umgebung, unserer Umwelt werden“, schreiben die Autor*innen.
Die Alpen sind den beiden auch ein Beispiel für die physischen, biologischen und politischen Grenzen des Gartens. In eleganter Kürze zeichnen Burckhardt und Vogt die Geschichte nach, wie das jahrhundertelang kaum zivilisierte Gebirge zum Tourismus-Hotspot wurde, in dessen Skigebieten heute jährlich 70 Milliarden Dollar umgesetzt werden. Gleichzeitig schiebt die Erderwärmung die Vegetationsgrenze immer weiter nach oben, und einst durch Gletschereis gezogene Demarkationslinien zwischen ganzen Staaten werden in ungewöhnlichen politisch-juristischen Konstruktionen zu „beweglichen Grenzen“. Ein Abschmelzen der Gletscher und dem gleichsamen Dahinschmelzen des lukrativen Skigeschäfts durch Planenabdeckungen oder Schneekanonen dann aufzuhalten, bezeichnen die beiden als „amüsanten und starrsinnigen Versuch, das Unbestreitbare hinauszuzögern“.
Mit einem gewissen Fortschrittsglauben blicken sie hingegen auf die Londoner Rectory Farm. Das brachliegende Gelände am Rande des vollkommen zersiedelten Gebiets der britischen Hauptstadt bildet einen grünen Übergang zum Colne Valley Regionalpark und soll (unter anderem nach Plänen vom Londoner Büro Vogt Landscape) in einen 1,2 Quadratkilometer großen Park umgewandelt werden. In seinen Erdschichten befindet sich jedoch wertvoller Kies, der nun peu à peu in einem Top-Down-Verfahren dank fixierender Strukturen unter der Erde abgebaut werden soll. Der Park wird in Zukunft auf einem gigantischen Hohlraum von bis zu zehn Metern Höhe liegen. Für die beiden ein Beispiel dafür, wie die „Zusammenarbeit von Landschaftsgestaltung und Architektur Probleme in Angriff nehmen kann“.
Und so hinterlässt die Lektüre dieses Bands ein ambivalentes Gefühl, das einen ohnehin bei den Nachrichten um den Klimawandel begleitet: einerseits die furchtvolle Anerkennung, dass das menschliche Handeln auf dieser Welt dramatische Folgen hat, und andererseits der Glaube daran, dass wir für die Veränderungen in der Natur auch Lösungen finden können. Dieses Wanken zwischen Sorge und Hoffnung im Anthropozän löst das Buch von Günther Vogt und Violeta Burckhardt nicht auf.
Text: Sophie Jung
Paradise Now. Die neuen Grenzen des Gartens.
Günther Vogt, Violeta Burckhardt
94 Seiten
Matthes & Seitz, Berlin 2021
ISBN 978-3-75180-509-4
15 Euro