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13.09.2010

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Inszenierung der Rekonstruktion

Ostflügel des Berliner Naturkundemuseums fertig


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In München läuft zur Zeit die große Ausstellung „Geschichte der Rekonstruktion“ (Besprechung des Katalogs folgt). Nicht enthalten in der Münchner Ausstellung ist allerdings der originelle und eigenständige Beitrag, den das Büro Diener & Diener (Basel/Berlin) für den Wiederaufbau des Ostflügels des Naturkundemuseums in Berlin abgeliefert hat. Er wird heute abend offiziell eingeweiht.

Der Ostflügel war als eine der letzten Kriegsruinen in Berlin-Mitte über die Zeiten gekommen. Die dachlose Ruine hatte in mindestens vier Jochen der Ostfassade sein aufgehendes Mauerwerk durch Bombeneinwirkung ganz oder teilweise verloren, ebenso fehlten die Geschossdecken und Teile der Hoffassaden. Die jetzt gewünschte Nutzung von wissenschaftlichen Sammlungen verträgt keinerlei Tageslicht, so dass ein fensterloser Bau gefordert war. Andererseits gab es den städtebaulichen und architektonischen Wunsch, die „Leerstelle der Gebäudestruktur wieder zu ergänzen“ (Diener & Diener).

Aus diesem Spannungsfeld zogen die Architekten die zentrale Idee ihres Entwurfs: Die fehlenden Teile werden „weder nachgebaut noch rekonstruiert, sondern in Erinnerung an den Bestand neu gestaltet“, so die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher am Rande der Eröffnungsfeier. Oder, um es mit Roger Diener zu sagen: Die beiden weidersprüchlichen Ansprüche der Aufgabe wurden durch eine „Inszenierung der Rekonstruktion“ miteinander konfrontiert.

Dazu haben die Architekten die vorhandenen Fassaden ausgebessert und die bestehenden Fensteröffnungen mit einem erstaunlich ähnlichen Ziegel vermauert. Die fehlenden Teile der Fassade wurden dagegen mit geschosshohen Betonfertigteilen in einheitlich grauer Färbung ersetzt. Diese Fertigteile, von den Architekten auch als „Kunststeine“ bezeichnet, zeigen minutiös die Textur der ehemaligen Fassaden bis hin zu Mörtelfugen oder Fenstersprossen. Möglich wurde dies durch Abgüsse, die von gleichartigen vorhandenen Fassaden gemacht wurden und deren Negativabdrücke in Polyurethan als Schalung für die neuen Elemente dienten.

Im Inneren sind so die gewünschten lichtlosen, sechs Meter hohen Sammlungsräume für ca. eine Million Präparate entstanden. An den Außenfassaden sind die Ergänzungen der Jetztzeit schon allein durch Materialität und Farbgebung unschwer als jüngere Zutat zu erkennen, andererseits verblüffen sie den Betrachter durch ihre fast unwirkliche Detailgenauigkeit. Oder, wie Roger Diener sagt: Man hatte vor, „die Sehgewohnheiten zu irritieren“ – was gelungen ist.

Roger Diener stellte heute auch einen Bezug zu Hans Döllgasts Wiederaufbau der Alten Pinakothek in München her. Zunächst erweist er dem Meister seine Ehre: „Döllgast ist das leuchtende Beispiel für eine Rekonstruktion, die nur dem Notwendigen verhaftet“ sei. Doch stellt er auch Unterschiede fest: „Wie Döllgast haben auch wir das Ziel, ergänzte von erhaltenen Teilen unterscheiden zu können. Doch Döllgast arbeitete roh und unvollständig. Diese Geste des Verzichts schloss immer eine mögliche spätere komplette Vollendung ein“ (wie es, möchte man hinzufügen, ja auch bei der Allerheiligenhofkirche an der Münchner Residenz passiert ist, die zeitlich deutlich nach Döllgasts Notmaßnahme wieder neu gewölbt wurde). Weiter Diener: „Wir streben nicht einen unvollendeten Zustand an. Wir verweigern eine Rekonstruktion des früheren Zustands nicht (nur), wir schließen sie aus!“

Gleichzeitig betont Diener, anders als Döllgast, kein verallgemeinerbares Prinzip der Rekonstruktion aufgestellt zu haben. „Unsere Lösung ist ein Einzelfall, die aus den bestimmten Bedingungen dieser einzigen Aufgabe entwickelt würde. Diese Lösung ist nicht reproduzierbar, sie hat keine Gültigkeit über den Fall hinaus.“ (-tze)


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

10

sba | 25.09.2010 22:14 Uhr

Mensch - Schweizer!

Ja da haben Sie wohl Recht, aber die ideologische Verbrämung scheint viel eher mit einer weit hergeholten intellektualistisch angehauchten Erklärung verknüpft. Anders kann man sich nicht erklären, warum Sie so scharf und doch so ausschweifend ihre Helden verteidigen. Oder können Sie mir einmal darlegen, warum man Fenster mitsamt der Rahmen und Sprossen in Beton nachgiesst ("fake") und keine glatten Klinkerspiegel - wie benachbart zu sehen - für sich stehen lässt? Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Wagner, Radikalität oder Hinschauen zu tun! Nur mit netten Effekten. Und das diese hier doch super aussehen, habe ich ebenfalls attestiert!

9

auch ein | 15.09.2010 16:58 Uhr

architekt

auch wenn man kein rekonstruktions-fan ist....
DIESE idee ist klasse !

8

Schweizer | 14.09.2010 15:50 Uhr

Lieber sba...

Roger Diener ist ein kluger und integrer Mann, und wenn er sagt: "Unsere Lösung ist ein Einzelfall, die aus den bestimmten Bedingungen dieser einzigen Aufgabe entwickelt wurde. Diese Lösung ist nicht reproduzierbar, sie hat keine Gültigkeit über den Fall hinaus." dann darf man ihm glauben, dass er es auch so meint. (Immerhin ist die vorgesehene neue Nutzung als Ausstellungsfläche ohne Tageslicht im befensterten Originalbestand nicht vorgesehen gewesen.) Kluge und hochdekorierte Landsleute von mir haben an anderer Stelle gezeigt (Caixa Forum), dass zeitgenössische Architekten bei dieser Frage zu den unterschiedlichsten Lösungen kommen können, ohne in verbohrtes Entweder-Oder zu verfallen. Ihr Schluss, man könne nun "die Moderne getrost als abgehakt" bezeichnen, nur weil die Kollegen in diesem konkreten Fall eine solche (und soweit mit bekannt in ihrer Radikalität bislang einzigartige) Lösung im Umgang mit der Rekonstruktion historischer Substanz gewählt haben, zeigt nur wieder, wie seltsam verbohrt, unsachlich und geschichtsvergessen diese Debatte bisweilen geführt wird. (Ich empfehle Ihnen dazu einmal die ausgezeichneten Texte eines Otto Wagners (um 1890, also noch vor der landläufig vielgeschmähten Moderne von Werkbund und Bauhaus.) Wenn Sie seit IBA 87 und Herrn Stimmann keine Entwicklung und keinen Wandel in der Berliner Architektur im Besonderen erblicken können, dann ist Ihnen -ehrlich gesagt - nicht zu helfen. Wohin uns das führt? Was? Qualitätvolle Architektur und Kollegen, die keine 0815-Standards anwenden , sondern mit Fantasie und Feingefühl um individuelle und gestalterisch nachhaltige Lösungen ringen?....Ich weiß es nicht, aber spannend bleibt es allemal! Was man verkehrt machen kann? Eine ganze Menge! Da müssen Sie sich nur mal die Arbeiten des Kollegen Stuhlemmer anschauen. Resultate gibt es viele. Bessere und schlechtere. Nur Hinschauen muss man.

7

peter | 14.09.2010 00:47 Uhr

ostflügel

respekt!
ein mutiger und witziger beitrag zu denkmalschutz und rekonstruktion.
mein wunsch:
zu erfahren, wieso es sich hier um einen absoluten einzelfall handeln soll. es klingt glatt so, als hätte man angst vor nachahmern. wieso eigentlich?

meinetwegen könnte man glatt das ganze berliner stadtschluss als betonabguss nachstellen. und den momentan zerstört werdenden stuttgarter haptbahnhof genauso wie die dresdner, kölner, frankfurter sowie diverse andere altstädte gleich mit. ein mock-up quasi, ein 1:1-gipsmodell der vergangenen stadt, nach der sich unsere zeit ach so sehnt. das wäre dann schön ehrlich, ein guter kompromiss, wie ich finde, und dem original nicht unähnlicher als die ganzen schloss- und baudenkmalattrappen, die sich heute landauf-landab bewundern lassen.

6

Benedikt Hotze | Redaktion BauNetz | 13.09.2010 22:35 Uhr

@Irene Meissner

Haben Sie vielen Dank für den Hinweis. Ich bezog mich auf den Katalog der Münchner Ausstellung, und darin ist dieses Beispiel nicht enthalten. Oder hab ich das übersehen?

5

sba | 13.09.2010 21:23 Uhr

(C)Konkret wilhelminisch

Wenn jetzt die Bannerträger der Reduktion und Moderne schon die historischen Fassaden und Reliefs in beton nachgießen - Kann man die Moderne getrost als abgehakt betrachten. Nichts desto trotz ein vorbildlicher Umgang mit dem Denkmal - aber was kann man denn auch verkehrt machen, Copy und Paste mal ganz real. Unmengen Silikon machen es ja möglich ganze Fassaden "in einem Guß" zu replizieren. Aber: wohin führt uns das alles?
Diese Frage beschäftigt uns seit IBA und Stimmann in Berlin, bisher ohne Resultat - oder doch??

4

Lamaa | 13.09.2010 20:01 Uhr

Schein oder sein?

Einfach toll, das ist gute Architektur, die begeistert!!!
Und Leute zum Nachdenken animiert.

3

Irene Meissner Architekturmuseum TU München | 13.09.2010 18:52 Uhr

Inszenierung der Rekonstruktion

Die Rekonstruktion des Berliner Naturkundemuseums von Diener & Diener wird sehr wohl in der Ausstellung mit drei Abbildungen und kurzen Erläuterungen präsentiert.

2

fjw | 13.09.2010 18:27 Uhr

Ostflügel

F A N T A S T I S C H !

1

Pekingmensch | 13.09.2010 16:50 Uhr

Edelplatte

Faszinierend! Ja beinahe schon genial. Herzlichen Glueckwunsch an Diener & Diener, von denen man eigentlich schon lange nicht mehr gehoert hatte!

 
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An der Ostfassade des Ostflügels sind historische und ergänzte Fassadenteile ablesbar

An der Ostfassade des Ostflügels sind historische und ergänzte Fassadenteile ablesbar

Im Inneren sind die gewünschten fensterlosen Räume für die wissenschaftlichen Sammlungen entstanden

Im Inneren sind die gewünschten fensterlosen Räume für die wissenschaftlichen Sammlungen entstanden

Die Fertigteile wurden mit diesen Polyurethan-Schalungselementen gefertigt, die aus Abgüssen vorhandener Fassaden gewonnen wurden

Die Fertigteile wurden mit diesen Polyurethan-Schalungselementen gefertigt, die aus Abgüssen vorhandener Fassaden gewonnen wurden

Solche geschosshohen Fertigteile sind im Betonwerk hergestellt worden

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