Ein Kommentar von Jeanette Kunsmann, Stephan Becker und Stephan Burkoff
Man kann mit großen oder auch ohne Erwartungen in den deutschen Pavillon kommen – die Ausstellung „Making Heimat“ offenbart sich als optimale Lösung. Mit der richtigen Themensetzung, dem richtigen Team und dem richtigen Gebäude als Display ist eine substanzielle Ausstellung gelungen: wissenschaftlich fundiert, politisch korrekt und graphisch gut gestaltet – der geöffnete Blick auf die Lagune statt Schlangen vor dem Pavillon zu den Preview-Tagen, weiße Plastikstühle und freies W-Lan anstelle von Plänen und Architekturmodellen.
Unsicher, welcher Name hier zuerst genannt werden soll. DAM-Direktor Peter Cachola Schmal als Generalkommissar, Oliver Elser als Kurator, Anna Scheuermann als Projektkoordinatorin? Sie alle haben als Katalysator gewirkt und mit Partnern wie dem Kanadier Doug Saunders und dem Berliner Studio Something Fantastic den diesjährigen deutschen Beitrag auf der Architekturbiennale in Venedig inhaltlich wie formal ausgeführt.
Der zu drei Seiten geöffnete Pavillon hat viele Journalisten und auch Besucher dazu verleitet, nach einer metaphorischen Bedeutung zu fahnden. „At Venice Biennale, Germany Makes a Case for Welcoming Refugees“, titelt Charly Wilder in der New York Times, in seinem Artikel „Heimat. Frisch gelüftet“ schreibt Hanno Rauterberg in der Zeit: „Ein feiner Wind geht durch den Pavillon, es wird jetzt quer gelüftet, dauerhaft.“ Und Niklas Maak lobt in der FAS, es sei eine heitere und schöne Idee, den deutschen Pavillon zum Meer hin aufzuschneiden. Alle sind sich einig: Dieser Beitrag steht für ein offenes Land – „Germany. Arrival Country“.
Statt einer klassischen Architekturausstellung trifft man auf ein gut gewähltes Szenenbild. Über einen Flaschenzug mit Käfig werden in dem offenen Pavillongebäude Wertgegenstände wie auf einer Baustelle hochgezogen und so vor Diebstahl geschützt. Acht Thesen zur Arrival City wurden in Zusammenarbeit mit Doug Sanders formuliert, exemplarische Projekte deutscher Flüchtlingsbauten gezeigt, dazu Ziegelstapel, die während der Biennale als Podeste oder Tresen und später zur Schließung der Öffnungen dienen sollen.
Die Durchbrüche sind da, um wieder zu verschwinden. Der Beitrag steht als Sinnbild für die deutsche, zupackende Political Correctness und stellt nicht nur eine ideale Werbefläche für den BMVBS und Deutschland dar, sondern auch für die Berliner Werbeagentur mit dem passenden Namen Heimat und ihren Kunden. Ob dieser international beachtete Auftritt für Something Fantastic den verdienten Durchbruch bedeutet, bleibt abzuwarten. Inhaltlich gibt es jedenfalls keine Kontroversen. Die einzig wirkliche Diskussion dreht sich um die Frage, ob die von Something Fantastic realisierten Einschnitte im Pavillongebäude bleiben können. Dass Barbara Hendricks die Romantisierung der Arrival City als Stadt in der Stadt kritisiert, geht im Eröffnungsjubel unter.
Hier gibt es also nur Gewinner, selbst mit dem alten Nazi-Pavillon hat man sich versöhnt. Wenngleich seine wiederholte Thematisierung vielleicht etwas über die Deutschen verrät. Der deutsche Pavillon sei mit jeder Architektur- und Kunstbiennale auf der Suche nach sich selbst, meint Paolo Baratta im Gespräch auf der Dachterrasse des Biennale-Hauptquartiers zwei Tage vor Eröffnung. Anders als bei Japan oder den Amerikanern, die alljährlich Selbstbewusstsein und Mut bewiesen, spüre man bei den Deutschen, dass sie nach einer eigenen Haltung suchen. Auf der Suche nach Identität mag das Gebäude, auch oder gerade wenn es polarisiert, einen Fixpunkt darstellen. Dass der italienische Denkmalschutz verboten hat, den Pavillon auch wirklich zu allen vier Seiten zu öffnen, fügt dem eine unfreiwillige Pointe hin zu.
Berücksichtigung muss der Prozess der Öffnungen finden, denn einfach war es nicht, die Löcher in den alten Nazi-Bau zu schneiden – die schweren Stahlträger zeugen davon. Das Alte muss unter einem gewissen Widerstand an die Bedürfnisse der Gegenwart angepasst werden, doch daraus folgen neue Qualitäten – wer will, kann in dieser Umbau-Metapher auch die vielen Widerstände erkennen, die es tatsächlich in Deutschland gegen Merkels Politik gibt. Die bleiben im Pavillon ansonsten leider etwas unterbelichtet – es überwiegt das Positive und optimistische Bild, das in der Realität allerdings auch Schattenseiten hat.
Die zuhauf kolportierte Aussage Barattas „Keep it open“ muss symbolisch verstanden werden. Auf der Terrasse bekräftigt er seinen Glauben an die führende Rolle Deutschlands in der Lösung der Krise in Europa. „Wir brauchen mehr Merkels“, sagt Paolo Baratta und nickt Richtung Lagune.
Zum Thema:
www.makingheimat.de
Wie sich Heimat bauen lässt, lesen Sie in der Baunetzwoche#452 „Making Heimat“
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Mies | 31.05.2016 16:52 UhrMehr Mut
Warum keine Architektur? Warum bleibt dieser Beitrag so unentschieden? Was will das DAM der Welt sagen? Am Ende bleibt nur eine auf den ersten Blick große Geste, die dann aber auch brav zurückgebaut wird: Was für eine vertane Chance!