Es gibt Projekte, die klingen im ersten Moment ziemlich unwahrscheinlich. Der Turm eines Olympiastadions verwandelt sich in ein Bürogebäude mit knapp 15.000 Quadratmetern Geschossfläche? Eher nicht. Oder eben doch, wie kürzlich in Montreal geschehen. Das dortige Stadion wurde vom 2019 verstorbenen, französischen Architekten Roger Taillibert für die Sommerspiele 1976 entworfen. Der schiefe Betonturm, der in seiner Skulpturalität Entwürfe von Zaha Hadid vorwegnimmt, sollte sowohl als Wahrzeichen und Aussichtsplattform – erreichbar über eine Standseilbahn im Grat des Schafts – als auch als Mast für ein flexibel aufspannbares Zeltdach dienen.
Im Inneren entstanden ein olympisches Schwimmzentrum im Sockel und zwölf Stockwerke stützenfreier Raum, der von verschiedenen Sportverbänden genutzt werden sollte. Soweit kam es allerdings nicht, denn erst in den späten 1980er-Jahren wurde der Turm komplett fertiggestellt. Die Innenräume verblieben allerdings im – ziemlich beeindruckenden – Rohbauzustand und das Dach wurde aufgrund von technischen Problemen schon bald dauerhaft fixiert. Der bei Bürgern und Touristen beliebte Turm wurde damit unfreiwillig auch zum Symbol eines fehlgeleiteten Fortschrittsglaubens.
Seit einigen Jahren kommt nun allerdings wieder Bewegung in die Sache. Nicht nur werden aktuell Gebote für ein neues, möglicherweise wieder bewegliches Dach geprüft. Sondern es gehen seit Kurzem auch knapp 1.000 Mitarbeiter*innen einer großen Genossenschaftsbank im Turm ihrer Arbeit nach. Sieben der zwölf Stockwerke im Schaft wurden nämlich vom Büro Provencher_Roy (Montreal) in eine gediegene Bürolandschaft verwandelt. Die lebt vom erstaunlichen Kontrast zwischen profaner Nutzung und monumentaler Betonstruktur. Einen Großteil der ursprünglichen Betonverkleidung mussten die Architekten dabei sogar noch entfernen, um mit einer Glasfassade die Belichtung der extrem tiefen Grundrisse zu verbessern. Trotzdem gibt es immer wieder einzigartige räumliche Situationen, die sich höhlenartig teils über mehrere Stockwerke ziehen. Der Austausch der Fassade war auch in technischer Hinsicht eine große Herausforderung, weil die Wechselwirkungen der Tragstruktur selbst mit aufwändigen Computermodellen nur schwer absehbar waren.
Die neuen Büroräume werden vor allem vom Call Center und verschiedenen informationstechnischen Abteilungen des alteingesessenen Bankunternehmens genutzt. Ein gewisses Start-up-Feeling mit vielen offenen Arbeitsbereichen war darum von Anfang an gewünscht. Zum Programm gehören neben einem Auditorium, einer Kantine mit 400 Plätzen und einem Wellnesszentrum zahllose kleinere Konferenzräume und „kollaborative Wohnzimmer“ – die Loungebereiche und Kaffee-Ecken noch gar nicht mitgezählt. Die Umbauarbeiten benötigten mehrere Jahre und kosteten laut der Immobilien-Webseite Renx knapp 100 Millionen Euro. Eingemietet hat sich das Unternehmen dafür aber auch gleich für anderthalb Jahrzehnte. (sb)
Fotos: Stéphane Brügger
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Cerberus | 12.02.2020 13:02 UhrKlasse!
Ich habe hier schon lange nicht mehr ein so geniales Projekt gesehen. Es sollte der Abriss- und Neubaufraktion ein Beispiel sein.