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04.08.2021

Buchtipp: Projekt ohne Form

OMA, Rem Koolhaas und das Laboratorium von 1989


Man könnte sagen: Nun hat die Archäologie Rem Koolhaas als ihr Forschungsobjekt entdeckt. Jedenfalls erinnert die Akribie, mit der Holger Schurk in seinem 460-Seiten-Buch Projekt ohne Form. OMA, Rem Koolhaas und das Laboratorium von 1989 die Vor- und Frühgeschichte des Office for Metropolitan Architecture OMA geduldig freilegt an eine archäologische Grabung, die erst mit Hacke und Schaufel arbeitet, um dann das, was sie findet, in tagelanger Arbeit mit dem Pinsel vorsichtig und vollständig ans Licht zu bringen.

Schurk promovierte 2018 an der Akademie der bildenden Künste in Wien mit einer Untersuchung der Entwurfsprozess des OMA in den 1980er Jahren. Das Buch ist ein Derivat seiner Promotion, doch es liest sich wunderbar, wie eine gute Mischung aus Kriminalfilm und wissenschaftlicher Gründlichkeit.

Schurk nimmt speziell das Jahr 1989 in den Blick. Obwohl das OMA laut offizieller Biografie bereits 1975 gegründet und seit 1984 in Rotterdam ansässig war, ist es 1989 noch immer ein junges, wildes Büro ohne geordnete Strukturen – sozusagen noch ein Büro ohne Form. 1989 richtet Koolhaas eine Art experimentelles Laboratorium ein, in dem ein interdisziplinäres Team zeitgleich an drei Wettbewerben arbeitet: für die Très Grande Bibliothèque in Paris, für das Fährterminal in Zeebrügge und für das Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM in Karlsruhe.

Schurk interessiert sich dabei weniger für die Entwürfe selbst als vielmehr für die Arbeitsweisen und Organisationsformen, die Vor- und Zwischenschritte sowie die Philosophie dahinter. Er führt uns also nicht nur in eine Zeit zurück, in der die architektonische Arbeit mit Stift und Modell stattfand, sondern auch in eine Zeit, in der ein 45-jähriger Koolhaas die Teams antreibt, zwar spezifische funktionale Antworten auf die geforderten Programme zu finden, dabei aber so lange wie nur irgend möglich auf eine feste Form zu verzichten, die dem puren, programmatischen Denken im Wege stehen könnte.

Die Idee für die Pariser Bibliothek zeigt dieses Arbeiten am deutlichsten. Der Entwurf besteht letztlich fast nur aus Innenräumen, die in einem losen, dreidimensionalen Raum wie Planeten zueinander geordnet, nach außen aber kaum genauer definiert werden. In diesen Arbeiten lässt sich zudem eine DNA erkennen, eine Grundstruktur, die sich nicht nur in vielen späteren Entwürfen des OMA und seiner in aller Welt verstreuten Protagonist*innen findet, sondern die auch Grundlage für die gesamte Welle der „SuperDutch“-Architektur ist.

Neben der präzisen Spurensuche beeindruckt Schurks Buch auch durch seine Gestaltung von Jan Kiesswetter und Alina Schmuch, die neben einem wunderbar leichten Format auch die ideale Bebilderung gefunden haben: Unscharfe, grob aufgelöste Filmstills zeigen flüchtige Eindrücke der Büroarbeit 1986. Außerdem gönnt sich das Buch einen 30-seitigen Anhang mit Abschriften der Interviews, die Schurk mit Mitarbeitern der frühen Jahre geführt hat: Kees Christiaanse, Mike Guyer, Xaveer De Geyter, Willem-Jan Neutelings, Frans Parthesius, Hans Werlemann und Art Zaaijer. Ein Herrenclub? Ja, aber was für einer.

Bei diesem Buch bleibt kein Wunsch offen. Wer S, M, L, XL im Schrank zu stehen hat (und wer hat das eigentlich nicht?), sollte dieses Buch unbedingt daneben stellen.

Text: Florian Heilmeyer


Projekt ohne Form. OMA, Rem Koolhaas und das Laboratorium von 1989

Holger Schurk
460 Seiten
Spector Books, Leipzig 2020
ISBN 9783959053747
36 Euro


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Très Grande Bibliothèque in Paris, Wettbewerbsbeitrag von OMA 1989

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Fährterminal Zeebrügge, Wettbewerbsbeitrag von OMA 1989

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Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM in Karlsruhe, Wettbewerbsbeitrag von OMA 1989

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