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06.05.2020
Buchtipp: Du, glückliches Österreich
Neues soziales Wohnen. Positionen zur IBA_Wien 2022
Hamburg, Heidelberg, Thüringen, Stuttgart: Eine wahre Flut von Internationalen Bauausstellungen brach in den letzten Jahren über Deutschlands Stadtregionen herein. So unterschiedlich wie die Programmatik war und ist auch der Erfolg. Andere, wie die geplante IBA Berlin 2020, fanden ein Ende, bevor sie überhaupt begannen.
Auch die IBA_Wien 2022 „Neues Soziales Wohnen“ hatte einen etwas unruhigen Start. Konzipiert vom damaligen Leiter der Wiener Wohnbauforschung, Wolfgang Förster, wurde sie 2015 (damals noch mit dem Zieljahr 2020) vom damaligen Wohnbaustadtrat Michael Ludwig mit großem Stolz verkündet. Förster musste später aus gesundheitlichen Gründen die Rolle als IBA-Koordinator abgeben, und Ludwig scheint sich, seit er 2018 Bürgermeister wurde, nicht mehr sonderlich für die IBA zu interessieren. Auch die Wiener Architektenschaft reagierte eher skeptisch. Nicht wenige warfen der IBA vor, sie sei ein reines Marketinginstrument, das den international schillernden „IBA-Stempel“ auf Stadtentwicklungs- und Wohnbauprojekte drückte, die ohnehin schon geplant waren.
Dies zumindest hat sich geändert, das IBA-Team hat die Projektkandidaten, von denen 9 Quartiere und 15 Einzelprojekte ausgewählt wurden, mit einem Begleitprogramm gekoppelt, das die städtebaulichen, architektonischen und politischen Intentionen deutlicher fokussiert. Dies mit einem vergleichsweise kleinen Team um IBA-Koordinator Kurt Hofstetter (die IBA Stuttgart 2027 hat viermal soviel Personal!) und minimalem Budget. Mit dem Thema „Neues Soziales Wohnen“ knüpft man bewusst an die Tradition des Wiener Wohnbaus an.
Aufgrund des Coronavirus musste die für April 2020 geplante Zwischenpräsentation auf Herbst verschoben werden, doch dafür gibt es nun reichlich Lesestoff. Die eben erschienene Publikation Neues soziales Wohnen. Positionen zur IBA_Wien 2022 zieht sozusagen die Fundamente unter das IBA-Konstrukt ein – und das mit Nachdruck. Über mehrere Kapitel hinweg konsolidiert sich eine wesentliche Position: Der freie Markt bietet keine Lösungen für die Wohnungskrise, im Gegenteil.
Dies wird vor allem im internationalen Vergleich deutlich, wo Wien mit seinem Anteil an kommunalen und geförderten Wohnungen mit gedeckelten Mieten von 41 Prozent in den letzten Jahren mehr denn je als Insel der Seligen gilt. „In Deutschland ist abzulesen, wie verheerend der freie Wohnungsmarkt für das städtische Zusammenleben sein kann und zu welchen aufwendigen Eingriffen er zwingt, um den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten. Tu felix Austria!“ wie Christiane Thalgott in ihrem Beitrag schreibt. Doch ist Wien von der Finanzialisierung des Wohnungswesens und dem Run aufs „Betongold“ keineswegs verschont geblieben, im Gegenteil. Ob und in welcher Form Gegenmaßnahmen wie die 2019 eingeführte Baulandkategorie „geförderter Wohnbau“ hier greifen, wird man erst in ein paar Jahren wissen.
Die von Rudolf Scheuvens im Buch gestellte Frage, ob Wien mit seiner gut geölten Wohnbaumaschinerie überhaupt eine IBA braucht, findet hier die bejahende Antwort. Das auf Konfliktvermeidung gründende Wiener Erfolgsmodell der sozialen Nachhaltigkeit, so der Konsens vieler Beiträge, gilt es mit neuen Miet-, Finanz- und Stadtentwicklungsmodellen fortzuführen. In diesem Zusammenhang ist es vor allem die Quartiersbildung, der in mehreren Beiträgen eine zentrale Rolle zugewiesen wird. Hier profiliert sich die IBA bereits in der Praxis als Koordinatorin zwischen Wohnbauträgern, die es meist noch nicht gewohnt sind, über das eigene Baufeld hinaus zu denken.
Der Tonfall ist durchgehend sachlich, mehr soziologisch, politisch und wirtschaftlich als architektonisch, und angesichts der überbordend vielen Beiträge, die weitgehend ähnliche Positionen vertreten, ergeben sich zwangsläufig einige Redundanzen. Wouter Vanstiphout darf sich als einer der wenigen einen Ausflug in die Utopie erlauben und fordert „100 Millionen neue Häuser in Europa innerhalb von zehn Jahren, die allesamt uns gehören“. Schade nur, dass die konkreten IBA-Projekte selbst bloß am Rande vorkommen – hier hätte sich noch mehr Neugier auf die Ausstellung erzeugen lassen. Welche Antworten die Projekte auf die im Buch gestellten Fragen bieten und wie sich die Positionen in die Realität umsetzen lassen, hätte man gerne etwas genauer gewusst. Eine Lücke, die man beim Besuch in Wien zur Zwischenpräsentation im Herbst oder spätestens im IBA-Jahr 2022 selbst füllen kann.
Text: Maik Novotny
Neues soziales Wohnen. Positionen zur IBA_Wien 2022
IBA_Wien 2022 und future.lab (Hg.)
256 Seiten
Jovis Verlag, Berlin 2020
ISBN 978-3-86859-619-9
35 Euro
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