Von Jasmin Jouhar
Das Berliner Mietshaus ist eine ziemlich belastbare Typologie. Die Häuser halten mit ihren generischen Grundrissen die unterschiedlichsten Nutzungen von Wohnen bis Gewerbe aus und nehmen auch Umbauten nicht gleich übel. Wer den Bestand ergänzt – noch sind Lücken in der Innenstadt vorhanden –, kann es sich zur Aufgabe machen, diese Qualitäten weiterzubauen. Das junge Berliner Architekturbüro Trutz von Stuckrad Penner hat mit seinem Neubau eines fünfgeschossigen Mietwohnungsbaus die Herausforderung angenommen und den Hofflügel eines Hauses in der Niederbarnimstraße im Stadtteil Friedrichshain wieder geschlossen. Ihr Entwurf fügt sich einerseits ein, und nimmt sich andererseits dank kreativen Umgangs mit der Bauordnung ein paar Freiheiten heraus.
Das Projekt ging aus einem Wettbewerbsverfahren hervor, das der Grundstückseigentümer Stadtboden ausgelobt hatte und das Trutz von Stuckrad Penner 2013 gegen drei Konkurrenten für sich entscheiden konnten. Das Grundstück liegt in einem einstmals dicht bebauten Block südlich der Frankfurter Allee unweit des Frankfurter Tors, im Windschatten der Bebauung aus der Stalinzeit. Der Neubau knüpft mit seinem Maßstab und seinem Fußabdruck aber an die Vorkriegsbebauung an und besetzt die offene Ecke nach Nordwesten. Dadurch entsteht eine L-förmige Grundrissfigur, der Baukörper schließt zum Hof glatt ab und schreibt mit Tor und regelmäßigem Raster aus stehenden Fenstern den Bestand fort. Zur Blockinnenseite allerdings wirft der Bau eine Kaskade von Fassadenvorsprüngen, Loggien und Balkonen auf, die zwar ebenfalls von typischen Berliner Altbaumotiven abgeleitet, aber in ihrer Asymmetrie und Plastizität eindeutig zeitgenössisch ist. Die Architekten haben die Fassade aus dem Parzellenplan und den Vorschriften für Abstandsflächen heraus entwickelt.
Was den Neubau noch vom Berliner Mietshaus unterscheidet, ist sein komplexes, teilweise zweigeschossiges Raumgefüge. Jede Etage hat andere Grundrisse und eine unterschiedliche Zahl von Einheiten. Das reicht vom Erdgeschoss mit Gewerbefläche, Maisonette und Studio bis zum vierten Geschoss, das von einer einzigen Wohnung eingenommen wird, die zudem noch mit einem kleinen Belvedere bis in die fünfte Etage führt. „Die programmatische Unterschiedlichkeit der Wohnungen in Größe und Zuschnitt für ein Nebeneinander verschiedener Lebensentwürfe versteht sich als zeitgemäße Adaption des traditionellen Berliner Mietshauses“, so die Architekten.
Berliner Mischung im Kleinen also, ein ganzes Mietshaus mit seinen verschiedenen Lagen in einem Gebäude gestapelt. Kreativ waren Trutz von Stuckrad Penner auch im Umgang mit dem zweiten Rettungsweg, der bei Neubauten in Hinterhöfen gebraucht wird. Ab dem dritten Obergeschoss aufwärts haben sie das Gebäude mit einem Korridor an das Seitenflügel-Treppenhaus des Bestandbaus angedockt. So konnten sie auf einen zweiten Fluchtweg oder ein Sicherheitstreppenhaus verzichten. Die teilweise ungewöhnlichen Lösungen zeigen, dass sich eine Auseinandersetzung mit dem Berliner Mietshaus auch heute noch lohnen kann.
Fotos: Andrew Alberts
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Fritz | 23.11.2016 10:28 UhrFensterbrüstung - Befreiung?
Gibt es für Absturzsicherung bei den Fenster so wie hergestellt einen Trick zur Befreiung von der Bauordnung?
Wenn das Fenster offen steht gibt es doch den Leitereffekt und die Brüstungshöhe müsste eigentlich ab OK Fensterrahmen zählen. Über eine Info wäre ich sehr dankbar.
Besonders von der Hofseite gefällt mir das gebäudevolumen sehr gut...