Die zwischen 2002 und 2012 gebaute Planstadt Naypyitaw ist bekannt für ihre ungewöhnliche Kombination von großer Fläche und niedriger Einwohnerdichte. Sie wird oft in einer Reihe mit anderen Planstädten wie Brasilia, Canberra, Islamabad, Putrajaya oder Astana genannt, die allesamt entstanden sind, um die Regierungsarbeit effizienter erledigen zu können. Dennoch unterscheidet sich Naypyitaw stark von den anderen Planstädten: Auf den ersten Blick so scheint es, als wäre die Stadt vorsorglich mit sehr viel Platz für künftiges Wachstum gebaut worden, aber dass eben diese Zukunft noch auf sich warten lässt.
Die imposante Leere der kaum befahrenen vier- bis zehnspurigen highwayähnlichen Straßen, die sich durch das weitläufige, nur aus Abstandsgrün bestehende Stadtgebiet ziehen, die vereinzelten Rohbauten, die man von eben diesen Straßen sehen kann und die Absperrungen der Militärpolizei sind wesentliche Stilelemente, mit denen die Regierung seit 2005 versucht, die Militärhegemonie trotz der vermeintlich demokratischen Öffnung aufrecht zu erhalten. Es gibt nur wenige, vor allem kaum unabhängige Publikationen über Naypyitaw, und von offizieller Seite aus ist man bemüht, möglichst wenig nach außen dringen zu lassen.
In Essays und Fotografien untersuchen der Soziologe Heinz Schütte und der Fotograf Wolfgang Bellwinkel die Stadtstruktur Naypitaws. Angestrebt waren Treffen mit Stadtplanern, Architekten, Politikern und Militärs. Die meisten Anfragen für ein Treffen verliefen jedoch im Sand. Die Autoren suchen nach Antworten auf die Frage, ob es hier jemals gelingen wird, eine Stadtgesellschaft zu entwickeln, in der Pluralität und Bürgerbeteiligung Einzug halten? Anhand der jüngeren Geschichte Myanmars arbeiten sie heraus, unter welchen politischen Umständen Naypyitaw 2005 zum Regierungssitz wurde, und was das burmesische Verständnis von der Rolle der Politik damit zu tun haben könnte.
Dass Naypyitaw irgendwie gar nicht so richtig Stadt ist, und vielleicht auch gar nie Stadt werden soll, lässt sich spätestens erahnen, wenn man liest, dass sich über die Jahre weder Ökonomie angesiedelt hat, noch ein Kulturleben stattfindet. Wo soll es auch herkommen? Die Bevölkerung besteht aus Befehlsempfängern, die für die Militärregierung arbeiten und am Wochenende nach Hause fahren in die alte Hauptstadt Yangon zu ihren Familien. Die Stadt ist angelegt, um die Militärregierung an der Macht zu halten. Ihre Lage an den beiden Hauptverkehrsstraßen, die Indien mit Thailand und China mit Bangladesch verbinden, macht sie zu einem Flaschenhals, von dem aus auch die Flüsse Ayerwady und Sittang kontrolliert werden können. Hier den Regierungssitz einzurichten, steht ganz in der Tradition der burmesischen Herrscher, die immer vom Ort ihres Haupteinflussbereichs aus regiert haben. In den letzten 1000 Jahren wechselten die Hauptstädte über ein Dutzend Mal.
Das Buch Naypyitaw: An Approach wurde Anfang des Jahres in der ehemaligen Hauptstadt Yangon vorgestellt und ist seit März beim Berliner Verlag JB. Institute erhältlich. Herausegber sind das Goethe-Institut und die Friedrich-Ebert-Stiftung in Myanmar.
Text: Tassilo Letzel
Naypyitaw. An Approach
Heinz Schütte und Wolfgang Bellwinkel
95 Seiten
JB. Institute, Berlin 2019
ISBN 978-3-00-061640-2
24 Euro
Auf Karte zeigen:
Google Maps