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03.02.2021
Buchtipp: Poröse Stadt
Napoli Super Modern
Das in Paris ansässige französisch-italienische Architekturbüro LAN (Local Architecture Network) legt, nach der Analyse des Pariser Stadtumbaus durch Georges-Eugène Haussmann, mit Napoli Super Modern eine weitere städtebauliche Studie in überzeugender Buchform vor. Dieses Mal widmet sich das Team um die beiden LAN-Partner Benoît Jallon und Umberto Napolitano der süditalienischen Hafenstadt Neapel. Ihr Fokus gilt der ganz eigenen Spielart des Modernismus, die sich dort zwischen 1930 und 1960 entwickelte. Inspiriert von mediterraner Kultur und lokalen Baustoffen steht sie in steter experimenteller Wechselwirkung mit der umgebenden Stadt.
Die Herausgeber des reich bebilderten Buches eröffnen mit der Hypothese, dass sich die moderne neapolitanische Architektur insbesondere durch zwei Aspekte charakterisieren lasse: Zum einen durch den Verzicht auf die Definition abstrakter und idealisierender Modelle, zum anderen durch die enge Verquickung der Gebäude mit ihrem physischen, historischen, sozialen und geografischen Kontext. Der ist in der dicht gebauten Hafenmetropole vor allem bestimmt durch ein chaotisch wirkendes Straßennetz, zahlreiche Höhenunterschiede, vom ober- wie unterirdischen Bestand diktierte Einschränkungen und eine gewisse Konfusion öffentlicher und privater Räume.
Der unmittelbare Kontext sei daher in den meisten Fällen nicht nur ein maßgeblicher Einflussfaktor, sondern vielmehr der entscheidende und explizite Ausgangspunkt für die jeweilige Gestaltungsidee gewesen, führt Napolitano im Vorwort aus und fasst den Duktus seiner Heimatstadt pointiert zusammen: „Die Villa Savoye hätte in Neapel nie gebaut werden können.“
Das mit blau-gelbem Leineneinband und unterschiedlichen Papieren ausgesprochen schön aufgemachte Buch nähert sich seinem dreißigjährigen, durch Faschismus und den Wiederaufbau nach dem Krieg abgesteckten Untersuchungszeitraum an Hand von 18 exemplarischen Bauten. Die Herausgeber*innen folgten dabei zwei Auswahlkriterien: einerseits – historisch betrachtet – der Bauzeit, andererseits – kritisch gesehen – einer besonderen Qualität von „urban resistance“, die diese Gebäude auch zu interessanten Studienobjekten für künftige Stadtgestaltung machen. Denn die untersuchten Bauten erzählen von einer wechselseitigen Transformation: der Ausdehnung der Architektur in die Stadt hinein und der Verinnerlichung der Stadt in der Architektur.
Betrachtet werden unter anderem Luigi Cosenzas Fischmarkt (1929–35), das Schiffsterminal Maritime Station von Cesare Bazzani (1933–36), die Post von Giuseppe Vaccaro und Gino Franzi (1933–36) sowie das Hochhaus der Società Cattolica Assicurazioni (1956–58) und das Apartmentgebäude Palazzo della Morte (1954–60), beides Gemeinschaftswerke von Stefania Filo Speziale – sie war die erste Frau, die an Neapels Architekturfakultät graduierte –, Carlo Chiurazzi und Giorgio de Simone. Zu Wort kommen neben Napolitano Architekturhistoriker Andrea Maglio, Kritiker Manuel Orazi sowie Architekt Gianluigi Freda. Ihre Aufsätze füllen zusammen mit Fotografien und zahlreichen Detailskizzen die erste Hälfte des Buches. Der zweite, auf graues Papier gedruckte Teil des Bandes ist ein chronologisch geordneter und von Maglio geschriebener „Building Atlas“. Er umfasst neu gezeichnetes Planmaterial aller vorgestellter Projekte, Biografien ihrer Planer*innen sowie eine umfangreiche Bibliografie.
Aus Flaneurperspektive meisterhaft ins Bild gesetzt wurden all diese Bauten durch den französischen Fotografen Cyrille Weiner. Seine großformatigen Bildstrecken führen uns hautnah durch die verwinkelte Stadt und lassen die Metapher der „Porosität“ anschaulich werden, mit der bereits Walter Benjamin in den 1920er Jahren den auf Improvisation setzenden Charakter Neapels beschrieb. Sein Begriff der „porösen Stadt“, der eine komplexe Durchdringung unterschiedlicher baulicher und sozialer Schichten bezeichnet und dabei auch auf den in Neapel allgegenwärtigen Tuffstein referiert, taucht denn auch mehrfach in den fünf Essays des Buches auf.
Text: Diana Artus
Napoli Super Modern
LAN Local Architecture Network, Benoit Jallon, Umberto Napolitano und Le Laboratoire R.A.A.R. (Hg.)
Englisch
232 Seiten
Park Books, Zürich 2020
ISBN 978-3-03860-218-7
48 Euro
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Maritime Station von Cesare Bazzani, 1933–36
Uffici Finanziari e Avvocatura di Stato Headquarters von Marcello Canino, 1935–37
Clinica Mediterranea von Sirio Giametta, 1940–42
Station Fuorigrotta an der Cumana-Eisenbahnlinie von Frediano Frediani, 1939–40
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